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Hotzenwaldblues

Hotzenwaldblues

Titel: Hotzenwaldblues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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sich unsicher. Sollte er die Angelegenheit
ansprechen? Vielleicht lieber nicht. Er betrachtete sie von der Seite. Ihr
Gesicht war ernst. Sie vermied den Augenkontakt mit ihm und wirkte angespannt.
Nein, er traute sich nicht, die Sache noch einmal auf den Tisch zu bringen, sie
um Entschuldigung zu bitten. Für den Moment war es einfach gut, sie neben sich
zu wissen. Es würde schon werden. Sie hatten sich immer wieder gestritten, und
es war jedes Mal wieder gut geworden.
    Die Sonne hatte für einen Tag im Mai selbst um achtzehn Uhr noch
afrikanische Qualitäten und knallte auf den baumlosen Bad Säckinger
Münsterplatz, auf seine Hinterkopfglatze und seinen Nacken. Nach einer Minute
hatte Max das Gefühl, dass in zwei Minuten sein Hirn anfangen würde zu sieden.
Sein Gänseblümchen war da schlauer gewesen, sie hatte ihren knautschfähigen
Sommerhut aufgesetzt, und die hintere Krempe beschützte ihren Nacken. Die
vordere hatte sie hochgeschlagen und fotografierte aus etwa zehn Meter
Entfernung mit ihrer Digitalkamera das Häuflein Aufrechter, das sich da auf dem
Platz vor dem Bad Säckinger Münster versammelt hatte. Im Gedenken an die Katastrophe
in Fukushima, die vielen Toten und die Menschen, die die Strahlung der
Kernschmelze in den drei Atommeilern noch krank machen oder umbringen würde.
Auch wenn die japanischen Behörden mauerten, Max war inzwischen davon
überzeugt, dass es eine Kernschmelze gegeben haben musste. Die sogenannten
Experten waren sich indessen noch uneins und produzierten deshalb ein Schaubild
nach dem anderen, anhand dessen sie versuchten, sich und anderen ein Bild von
der Lage zu machen.
    Iris hatte die Kamera gesenkt und betrachtete jetzt versonnen die
Demonstranten, die auf dem weiten Platz vor dem hohen Münsterportal irgendwie
verloren wirkten. Überraschend zwinkerte sie ihm zu.
    »Mit den rund zwanzigtausend Leuten auf der Anti- AKW -Demo gestern lässt sich das nicht vergleichen. Sie
hätten dabei sein sollen. Es war wirklich beeindruckend. Lassen Sie uns
hingehen. Was meinen Sie?«
    »Wozu?«
    »Wie viele dieses aufrechten Dutzends sind wohl Leute vom
Verfassungsschutz? Oder verdeckte Ermittler?« Sie kicherte.
    Max liebte es, wenn sie so lachte. Sie wirkte dann wie das
unbeschwerte kleine Mädchen, das die dicke Iris von einst wohl niemals hatte
sein dürfen. Er hatte sie damals nicht weiter beachtet, hatte selbst genug mit
den Hänseleien seiner Klassenkameraden zu tun gehabt. Und sich nur für eine
interessiert. Klara, seine wunderschöne Stiefschwester. Er konnte aber sehr gut
nachvollziehen, was sie durchgemacht haben musste. Der Vater ein Säufer, die Mutter
Stadtgespräch wegen ihrer Männergeschichten. Wahrscheinlich hatte sie sich den
Frust einfach von der Seele und auf die Knochen gegessen. Max vermutete
ohnehin, dass die Massen von Fett ein Spiegelbild der Mauer waren, die Menschen
wie sie und er um ihre Gefühle bauten, um nicht verletzt zu werden. Je mehr
Fett außen dazukam, desto undurchlässiger wurde der Schutzwall um die Seele.
    Die an der Mahnwache Beteiligten sahen ihnen misstrauisch entgegen.
Iris tat so, als bemerkte sie es nicht und sprach einen kleinen Mann an, dessen
Bild Max schon mehrfach in der Zeitung gesehen hatte: Peter Zweig, Sprecher der
Bürgerinitiative Atdorf, die ganz ausdrücklich nicht gegen das Pumpspeicherwerk auftrat, sondern für den Erhalt der Heimat im Hotzenwald. Er vermutete, die Leute hatten es langsam
satt, als jene Ökos hingestellt zu werden, die gegen einen Speicher angingen,
der wegen der angekündigten Energiewende doch angeblich unbedingt notwendig
war. Max wusste nicht, ob das stimmte. Er fand ohnehin, dass die Energiewende
bereits jetzt auf die schiefe Bahn geriet. Er war ein Verfechter von dezentralen
Lösungen und gegen den Bau von Überlandleitungen, um Strom aus
Offshore-Windparks in der Nordsee ans andere Ende der Republik zu befördern.
    Jedenfalls war das, was im Pumpspeicherwerk nach dem Hochpumpen des
Wassers ins obere Becken und der Stromerzeugung durchs wieder Ablassen ins
untere produziert wurde, keineswegs rein ökologischer Strom, und der kam auch
nicht aus der Steckdose. Noch war die Technologie nicht so weit, um in den
Netzen die Energie aus Wasserkraft vom Atomstrom zu trennen. Oder sie war so
weit und wurde nicht genutzt, weil es jemandem nicht passte.
    Die Bürgerinitiative traute den Behördenvertretern nicht, hielt
deren Untersuchungen und Gutachten nicht für ergebnisoffen. Die Beschuldigungen
gegen

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