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Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Titel: Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: GABAL Verlag
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Vergnügen an einem guten Essen gebracht. Und trotzdem kann sich niemand überwinden, aufzustehen. Warum nur?
    Zunächst einmal ist es die Angst vor Gegenwind. Wer kann denn schon absehen, ob die Eltern nicht anfangen zu pöbeln und zu randalieren: »Wie können Sie es wagen! Stecken Sie Ihre Nase gefälligst in Ihre eigenen Dinge!« Und so weiter. Vielleicht wechseln ja auch die anderen Gäste plötzlich die Seite: »Der hat wohl was gegen Kinder!« Um nicht Gefahr zu laufen, ins Kreuzfeuer zu geraten, bleibt man lieber sitzen und leidet. Soll doch ein anderer sich darum kümmern!
    Am Ende tut niemand etwas.
    Eine extreme Variante dieses Verhaltens ist der Non-helping-Bystander-Effekt. Er beschreibt die Tatsache, dass Menschen mit geringerer Wahrscheinlichkeit bei einem Unfall helfen oder bei einer sich anbahnenden Gewalttat einspringen, je mehr Beteiligte und Zuschauer involviert sind. Wenn du in einem Park ein Kind allein weinend antriffst, musst du schon sehr kaltherzig sein, wenn du weitergehst und so tust, als ob du nichts sehen würdest. Schreit ein verloren gegangenes Kind aber in einer Fußgängerzone nach seiner Mama, dann ist es wahrscheinlich, dass viele Leute vorübergehen. Es sind doch genügend andere da, die sich des Kleinen annehmen können. Und am Ende tut niemand etwas.
    Das ist eine eingeimpfte Verhaltensweise: sich bloß nicht exponieren! Die wenigsten lieben es, in Erscheinung zu treten. Auch wenn sie im Familienkreis die Hosen anhaben oder auf Hochzeiten im Freundeskreis gerne den Alleinunterhalter geben, überlegen sie es sich zweimal, bevor sie auf unbekanntem Terrain den einen Schritt nach vorne wagen und aus der Reihe der Zuschauer heraustreten.
    Denn wer in Erscheinung tritt, tut das, um zu handeln. Dazu ist eine Entscheidung notwendig: Rufe ich angesichts der auf einer Eisscholle im See treibenden Kinder nur die Rettungswacht, oder versuche ich auch, durch das eiskalte Wasser zu ihnen zu kommen und ihnen direkt zu helfen? Bei beiden Möglichkeiten gibt es gute Gründe dafür und dagegen. Aber du musst dich entscheiden. Und das beinhaltet eben die Gefahr, die falsche Entscheidung zu treffen. »Warum haben Sie den Kindern nicht direkt geholfen? Es war doch abzusehen, dass die Rettung nicht rechtzeitig eintreffen konnte.« Oder: »Warum haben Sie nicht auf die Rettungswacht gewartet? Es war unverantwortlich, dass Sie auch noch aufs Eis gegangen sind!«
    So ist es auf dem Olympiasee auf dem Münchner Olympiagelände geschehen. Dort sind im Dezember 1989 drei Jungen im Alter von fünf bis acht Jahren ins Eis eingebrochen und kämpften, nur 40 Meter vom rettenden Ufer entfernt, um ihr Leben. Zwar wurde die 500 Meter entfernte Security informiert, doch von den zwanzig Spaziergängern, die das langsame Sterben der Kinder beobachteten, ging keiner ins nur hüfthohe Wasser, um zu helfen. Die Experten waren sich einig: Wären es nur wenige Zuschauer gewesen, die Chance der Kinder auf rechtzeitige Rettung hätte sich vervielfacht. So konnte aber jeder Einzelne denken: »Soll sich doch ein anderer kalte Füße holen!«
    Bevor einer sich für eine falsche Entscheidung verantworten muss, bleibt er also lieber stumm. Wie in Schockstarre verharrt er tatenlos. Jetzt kannst du dir ausmalen, wie ein Leben aussieht, das ohne Entscheidungen vor sich hindümpelt. Es ist aber nicht nur so, dass du dir dann eben den Schneematsch um die Ohren fliegen lässt oder dir endloses Gameboy-Gedudel anhören musst. Die Folgen eines entscheidungsarmen Lebens gehen noch viel weiter.
Die Angst des Schützen vor dem Elfmeter
    Ich sitze neben Robert im Cockpit. Für ihn ist es eine kleine Auffrischungsstunde, für mich pure Entspannung. Wir üben die verschiedensten Manöver. Langsamflug und Steilkurfen … Langsam wollen wir zurück zum Platz. Aber ich möchte noch eine Sache probieren.
    »Okay, lass uns zum Abschluss noch einen Stall machen!«
    Robert schaut mich grinsend an: »Ja klar, natürlich!«
    Ich merke, dass er mein Vorhaben als Witz abtut. »Nee, ich meine es ernst. Zieh mal die Nase ordentlich hoch!«
    Robert glaubt, ich hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank. Denn in der Fliegerei ist ein Stall mit das Gefürchtetste, was es gibt. Ein Flugzeug kann nur dann fliegen, wenn die Luftströmung mit einer gewissen Geschwindigkeit über die Flügel streicht. Weil der Flügelquerschnitt asymmetrisch aufgebaut ist, muss die Luft, die oberhalb des Flügels entlangsaust, einen weiteren Weg zurücklegen als die, die unter

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