Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen
auch Grundig drin. Ein guter Grundsatz, geprägt vom Firmengründer der Nachkriegszeit Max Grundig. Doch in den Siebzigerjahren kamen Billigprodukte aus Fernost auf den Markt. Grundig blieb bei seinen Prinzipien. »Qualität setzt sich durch«, war die Devise. Ende der Siebzigerjahre tobte der Formatkrieg auf dem Heimvideomarkt: Grundig, Pionier in diesem Bereich, erfand zusammen mit Philips VCR und Video 2000, doch die Japaner konnten mit ihrem VHS-System das Rennen machen. Das von Grundig entwickelte Videosystem verschwand vom Markt. Und die Grundig-Leute verstanden die Welt nicht mehr. »Aber unser System war doch das beste!« Ja. Das kann gut sein. Aber offensichtlich hatte das nicht den Ausschlag gegeben.
»Aber unser System war doch das beste!«
Viel zu lange hielt man an den alten Werten fest, konnte man sich nicht dazu durchringen, im Globalisierungsspiel mitzuspielen. Die Firma musste einen Rückschlag nach dem anderen einstecken. Qualität schlägt den Preis? Nein, die Zeichen standen genau andersherum! Doch ein Engagement in Billiglohnländern war für Grundig immer noch kein Thema. Als ein Mitarbeiter dem Patriarchen Grundig einmal vorschlug, ein Büro in Hongkong zu eröffnen, blaffte der zurück: »Was willst du in Hongkong? Wir sind eine deutsche Firma.«
Den Zeitpunkt, zu handeln und neue Wege zu beschreiten, hat das Unternehmen verpasst. 2003 meldete Grundig Insolvenz an. Von dem Unternehmen mit ehemals 40 000 Mitarbeitern ist nur noch die Handelsfirma Grundig Intermedia GmbH mit etwas über 100 Beschäftigten übrig geblieben.
Genau das ist es, was passiert, wenn du dich um Entscheidungen drückst, das Ruder aus der Hand gibst: Wenn du nicht die fällige Entscheidung fällst, dann tut es ein anderer für dich. Du bist dann weder der Herr über den Zeitpunkt, an dem du aus deiner Hängematte geworfen wirst, noch – und das ist noch viel einschneidender – über das Ergebnis. Wer sagt denn, dass die Entscheidungen, die andere für dich treffen, die richtigen für dich sind? Oder dass das, was am Ende herauskommt, für dich positiv ist?
Du bist dir nicht sicher, ob du mit deinem Lebenspartner auf Dauer glücklich sein wirst? Du eierst herum, drückst dich davor, Nägel mit Köpfen zu machen, hältst die Beziehung auf einem beliebigen Niveau – und plötzlich ist er weg. Und du erkennst auf einmal, dass er es gewesen wäre. Zu spät!
Wer sich vor Entscheidungen drückt, begibt sich in weiche Polster – und kommt darin um.
KAPITEL 4
Gleitflug: Ohne Wenn und Eigentlich
»Wenn Sie Mist bauen, dann kommen Sie mir nicht mit Ausreden – schauen Sie in den Spiegel, und dann kommen Sie zu mir.« CHARLES BEACHAM, EHEMALIGER CHEF VON LEE IACOCCA
Berlin. Ich wollte nach Berlin. Raus aus dem muffeligen Würzburg und rein in die Boom-Town. Die Mauer war gerade gefallen, die Stadt hypte, Goldgräberstimmung. Wer Hummeln im Hintern hatte, wer mit dabei sein wollte, der ging nach Berlin. Und ich wollte mit dabei sein.
Wieder einmal stand ich im Zug. Vier Stunden Würzburg – Berlin ohne Platzreservierung. Seit Wochen versuchte ich, in Berlin eine Bleibe zu finden. Ein Zimmer in einer WG oder ein kleines Appartement. Die Preise waren ja noch ganz günstig. Freitagabends in Würzburg noch gefeiert, samstagmorgens ausgeschlafen, mittags losgefahren; entweder als Beifahrer von irgendeinem Kumpel oder mit dem Zug. Ich übernachtete in Berlin bei einem Freund und machte mich dann am Sonntagmorgen – na ja, es war wohl eher 11 oder 12 Uhr – daran, die Mietanzeigen durchzuforsten.
Berliner Morgenpost
, dazu die
Zitty
, den
Tip
und wie die Blättchen alle heißen. Mit dem Kaffeebecher in der Hand kreuzte ich akribisch alle Anzeigen an, die mir interessant erschienen. Aber egal wo ich anrief, es war immer schon einer vor mir da gewesen. »Schon weg«, hieß es; oder die Angerufenen legten einfach wortlos auf.
Sonntagnachmittags dann wieder zurück nach Würzburg. Zurück in den Freundeskreis, der ein dankbares Publikum für meine Klagen war: »Jetzt bin ich schon zum fünften Mal in Berlin gewesen. Keine Chance!«
Lichter der Großstadt
Aber andere hatten es doch auch geschafft! Warum fanden die eine Wohnung und ich nicht? Ganz einfach: Es lag nicht am Wohnungsmarkt, sondern an mir. Ich fand keine Wohnung, weil ich mich nicht richtig bemühte. Ich war regelmäßig zu spät dran, blätterte in den Anzeigen herum, wenn es mir gerade in den Kram passte. Ich stand nicht wie die anderen samstagmorgens um
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