Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen
beibringen. Aber ich hatte die Wahl: in der Freizeit entweder auf die Berge rauf – oder fliegen. Ich habe meinen Job als Fluglehrer aufgegeben, weil ich erkannt hatte, dass mir das Alleinsein mit mir wichtiger war, als anderen das Fliegen beizubringen. Leicht ist die Entscheidung nicht gefallen. Nur weil etwas weniger wichtig ist, heißt das ja nicht, dass es leicht ist, darauf zu verzichten. Aber beides ging nicht. Da war richtig Trauerarbeit angesagt. Es ist schwer, das Wichtige von dem weniger Wichtigen zu trennen.
Es ist sogar schwer, das völlig Unwichtige über Bord zu werfen. Denn oft verletzt du andere damit. Wenn du nach dreizehn Jahren auf einmal nicht mehr Weihnachten bei den Schwiegereltern verbringen willst, dann ist das hart. Für deine Frau und für deine Schwiegereltern. Das musst du erst einmal durchstehen.
Wenn du aber mit Hilfe der Checkliste Klarheit und Sinn in deinem Leben geschaffen hast, wird alles gleich viel einfacher. Der Spanisch-Kurs in der Volkshochschule? Weg damit. Den brauchst du nicht. Das war vor zehn Jahren eine Idee gewesen, nach Argentinien zu gehen. Jetzt nicht mehr. Wozu dann Spanisch lernen? Um in der Bodega nebenan auf Spanisch bestellen zu können? Kein guter Wirkungsgrad!
Jetzt gibt es nur noch
ein
Problem: die Betriebsblindheit.
Was vom Tage übrig blieb
Lisa ist eine Bekannte von mir, eine patente Frau, zuverlässig und geradeaus. Seit drei Jahren kümmert sie sich um ihre Eltern, die immer weniger für sich selbst sorgen können. Zuerst kaufte sie nur die schweren Sachen für sie ein. Wasserkisten, Kartoffelsäcke. Dann fing sie an, auch im Haus nach dem Rechten zu sehen. Heute putzt sie und spült, kümmert sich um die Rechnungen, organisiert den Pflegedienst. Sie beklagt sich nicht. Warum auch? Sie macht es ja wirklich gerne. Sie liebt ihre Eltern. Sie sagt: »Meine Eltern sind mir wichtig.«
Ich fragte sie, wie viel Zeit sie mit ihren Eltern verbringt. Eine bis zwei Stunden pro Tag fährt sie rüber zu ihren Eltern. »Nein, das meine ich nicht. Wie lange sitzt du bei deinen Eltern, redest mit ihnen?«
»Oh, vielleicht zehn Minuten, manchmal eine Viertelstunde.«
Ja, dann geht es ihr doch gar nicht um ihre Eltern! Dann geht es doch darum, dass das Haus ordentlich aussieht. Dass die Treppe geputzt, die Post erledigt ist.
Und genau das ist das Problem: Der Blick auf das Wesentliche ist verstellt. Du sagst, es geht dir um A. Und du meinst es auch wirklich so. Und trotzdem tust du etwas ganz anderes. Nämlich B. Und B zahlt gar nicht auf A ein. Nur so ähnlich.
Ich nenne das: Sekundärtätigkeiten. Dir ist dein Garten wichtig? Er ist für dich der Ort der Erholung. Aber wie viel Zeit verbringst du wirklich in ihm, ruhig im Sessel sitzend, zwischen den Beeten spazierend? Wenn du doch nur immer auf dem Sprung bist, jedes braune Blättchen aufzulesen, wenn deine gesamte Freizeit dabei draufgeht, den Garten ein halbes Jahr lang zu wässern, und du das andere halbe Jahr dafür brauchst, ihn winterfest zu machen, dann läuft da was ganz falsch.
Unterscheide also zwischen Netto- und Bruttozeit. Die Differenz zwischen Brutto- und Nettozeit sind Sekundärtätigkeiten, Assistenztätigkeiten. Sie zählen nicht. Manchmal sind das auch nur Ausreden. Nur die Nettozeit zählt. Die Zeit, die Lisa mit ihren Eltern verbringt. Mit ihnen redet, mit ihnen spazieren geht. Bad putzen geht vom Brutto ab. Wenn die Eltern nicht mehr da sind, wird es ihr leidtun, dauernd wie ein Wirbelwind durchs Haus gefegt zu sein. Um Versicherungsverträge kann sie sich auch in ein paar Monaten oder Jahren kümmern. Um die Eltern irgendwann nicht mehr.
Aschenputtel ist nun fertig mit ihrer Arbeit. Die guten Tätigkeiten sind im Töpfchen und die schlechten haben die Tauben gefressen. Wichtig und Unwichtig sind klar getrennt. Damit müsste alles klar sein. Du musst jetzt nur noch entsprechend handeln. Das ist jetzt doch kein Problem mehr, oder?
KAPITEL 6
Copilot: Wer wirklich entscheidet
»My aircraft!«
Sechzig Tonnen. So viel wiegt eine beladene Boeing – jede startende Maschine ist wie ein Putsch gegen die Naturgesetze. Ich bekomme nie genug vom Zuschauen. Vom Aussichtsdeck des Flughafens sehe ich, wie die 737 langsam auf die Startbahn rollt. Wie ein Tiger vor dem Sprung verharrt sie in der Startposition – und gibt Gas. Das Dröhnen ist bis hierher zu spüren, die Triebwerke beschleunigen die Maschine mit gewaltiger Schubkraft. Endlich sorgt der an den mächtigen Tragflächen
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