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Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Titel: Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: GABAL Verlag
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Mischung. Hier kommen wieder die Schlageisen mit dem Namen »Trägheit«, »Passt schon« und »War doch schon immer so« ins Spiel.
    Ein Beispiel: Von Marco wird erwartet, dass er acht Stunden am Tag seinen Job erledigt und mit seiner Partnerin zusammenbleibt. Dass er beides schon seit zwölf Jahren erfolgreich macht, erleichtert ihm die Sache. Denn längst ist ihm sein Alltag zur lieben Gewohnheit geworden. Marco ist davon überzeugt, dass es so in Ordnung ist und auch gar nicht anders geht. Und wenn sein Freund Max ihn um Rat fragt, weil er mit dem Gedanken spielt, seine Partnerschaft in der Anwaltskanzlei zu kündigen, um auf Kreta einen Tauchclub zu eröffnen, dann wird Marco ihn fragen, ob er noch alle Tassen im Schrank hat.
    Konventionen haben ihren Sinn. Sie sind eine vernünftige Art, etwas zu tun. Aber nicht immer. Ihre Tücken und falschen Versprechen habe ich oben gezeigt. Wenn alle zum Fahrradfahren eine hautenge Radlerhose mit Sitzpolster anziehen und ich loslaufe, um eine zu kaufen, obwohl ich mich darin fühle wie eine Presswurst mit Windel – dann ist das dumm. Es wirkt sich allerdings nur auf meine Oberschenkel einschneidend aus und nicht auf meine Existenz.
    Wer das Steuer seines Lebens anderen überlässt, landet nicht dort, wo er hinwollte.
    Katastrophal wird es, wenn ich anderen die Entscheidungshoheit darüber überlasse, wie ich mein Leben zu führen habe. Dann glaube ich, dass ich eine Niete in Englisch bin, weil meine Lehrerin mir eine Fünf gegeben hat. Dann werde ich Ingenieur, weil meine Eltern gesagt haben, dass ich so praktisch veranlagt bin. Und dann finde ich Gabi ganz toll, weil mein Freundeskreis meint, dass wir gut zusammenpassen. Wenn das eigene Hirn ausgeschaltet bleibt, lassen die Konventionen einen wie ferngesteuert leben. Zugegeben: Das ist easy. Die wichtigsten Entscheidungen delegiere ich an andere. Dann muss ich auch keine Verantwortung für das, was ich tue, übernehmen – es war ja der Staat, der Chef, die Versicherung, der Partner, der die Idee hatte. Und wenn es schiefgeht, sind die anderen schuld, das ist angenehm und bequem. So bastele ich mir ein Laufställchen, in dem mir nicht viel passieren kann, in dem es aber auch ganz schön eintönig ist – und aus dem ich nicht mehr rauskomme.
    Wer das Steuer seines Lebens anderen überlässt, landet an einem Ort, an den er gar nicht wollte. Er erreicht die Ziele der anderen – nicht die eigenen. Wenn er Glück hat. Wenn er Pech hat, stürzt er ab. Höchste Zeit, endlich selbst zu handeln.
Ferngesteuert
    Studiendirektor Maurer nimmt den Stapel Arbeitshefte vom Pult und beginnt sie auszuteilen. Die beiden Einser zuerst und dann die Notenskala runter. Er wirft mit in dreißig Jahren vervollkommnetem Schwung jedem Schüler sein Heft auf den Tisch und spart nicht mit ätzenden Kommentaren. »Neumann, Sie stehen vor einem Hyperbaton wie ein Ochse vor dem Gemischtwarenladen!«, »Krause, Ihnen fehlt jeder Zugang zu Ciceros Staatsverständnis.«
    Mir steigt die Galle hoch, wenn ich sehe, wie dieser Gockel durch die Tischreihen stolziert und seine Urteile fällt, als wären es sibyllinische Weissagungen. Ich bin der Letzte, der seine Arbeit zurückbekommt – klar. »Brandl, bei Ihnen vermisse ich jedes Verständnis für die lateinische Sprache überhaupt. Logisches Denken und Disziplin beim Lernen der Vokabeln, das ist der Schlüssel. Den haben Sie nicht. Herr Brandl, ich bin der Meinung, dass Sie auf einer weiterführenden Schule fehl am Platz sind!«
    Das ist eine Kampfansage. Er will mich schon lange weghaben. Aber jetzt hat er den Stichel zur Seite gelegt und die Panzerfaust in die Hand genommen. Im Lehrerzimmer wird er Druck machen und am Ende erreichen, was er will: meinen Schulverweis. Zwei Jahre vor dem Abitur. Das ist mir sonnenklar.
    Du kannst mich mal, denke ich. Ich gehe doch nicht wie ein Schaf zur Schlachtbank. Drei Tage später ist mein 18. Geburtstag. Morgens um acht marschiere ich in das Büro des Direktors. Ohne Anmeldung. Er schaut überrascht von seiner Zeitung auf.
    »Warten Sie bitte draußen!«
    Aber für Machtspielchen habe ich jetzt nicht den Nerv.
    »Herr Wingert, ich melde mich von dieser Schule ab.«
    »Sie tun
was
? Herr Brandl, ich weiß, dass Ihre Leistungen nicht überragend sind, aber Sie können doch nicht einfach … Was sagen denn Ihre Eltern dazu?«
    »Ich bin achtzehn, ich kann machen, was ich will.« Ich mache auf dem Absatz kehrt und habe schon den Türgriff in der Hand, als ich mich noch

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