Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen
in die Vorbereitung eines Vortrags gesteckt; das war mir in dem Moment wichtiger. Die Steuererklärung war mit einigen Wochen Verspätung beim Finanzamt. Kein Hahn hat danach gekräht …
Das ist eigentlich ein alter Hut: Wichtiges und Dringendes nicht zu verwechseln. Was du tun musst, ist ganz einfach: Überschätze nicht die Macht des Dringenden. Und unterschätze nicht die Relevanz des Wichtigen.
Anderes Beispiel: Du spürst ein leichtes Ziehen in der Brust. Fühlt sich komisch an, es beunruhigt dich. Das ist kein Muskelkater, das weißt du genau. Also gehst du zum Arzt. Sofort. Nicht: »Irgendwann, wenn ich mal Zeit habe.« Sondern jetzt. Das ist wichtig. Fall nicht auf das »Irgendwann« herein. Denn wenn du das nicht tust, dann wird das Wichtige auch noch dringend. Dann fahren sie dich irgendwann mit Blaulicht ins Krankenhaus.
Die zweite Frage ist: Warum in dieser Form?
Was würde passieren, wenn du das, was du tust, ein bisschen anders machen würdest?
Du spielst Handball, fast schon profimäßig. Dabei machst du dir deine Knochen kaputt, verbringst deine Wochenenden in stinkigen Turnhallen, und noch dazu steckst du mit deiner Mannschaft auf dem Weg nach Hause regelmäßig im Stau, während andere Familienväter daheim im Garten schon längst den Grill angeworfen haben. Und trotzdem kannst du dir ein Leben ohne diesen Sport nicht vorstellen. Die Frage ist also: Könntest du auch in einer Hobby-Mannschaft spielen und auf die Turniere verzichten? Ganz klar: deine Entscheidung.
Im Grunde zielt diese Frage darauf ab, ob es perfekt sein muss. In der Wirtschaft lernt man gerade: Es muss eben nicht perfekt sein. Während die Forschungs- und Entwicklungsabteilung eines Unternehmens noch nach einem besseren Preis-Leistungs-Verhältnis sucht, kommt die Konkurrenz schon mit einem Modell heraus, das die Kunden wie verrückt kaufen. Diesen Vorsprung können die Perfektionisten kaum mehr aufholen. Man kann sich auch zu Tode optimieren.
Perfektionistische Unternehmen haben einen schweren Stand und laufen Gefahr, in schnellen Märkten von der Bildfläche zu verschwinden. Wer es aber auf privater Ebene perfekt haben will, stirbt nicht gleich daran. Er macht sich das Leben nur schwerer, als es sein müsste.
Muss es perfekt sein?
Perfektionisten kann man nicht heilen. Warum auch? Wenn es dir wichtig ist, dass die Quittungen für jedes einzelne Sofakissen nach Jahreszahlen geordnet abgeheftet sind, dann ist das eben so. Dann solltest du aber auch dazu stehen und dir die Zeit dafür nehmen. Wenn du dagegen merkst, dass es auch reicht, Quittungen in einem großen Schuhkarton zu sammeln, weil du sowieso nur einmal in zehn Jahren eine von ihnen hervorholen musst, dann kannst du dir den Aufwand mit den 16 Leitz-Ordnern mit je 24 Trennblättern sparen.
Die dritte Frage lautet: Warum ich?
Das ist eigentlich die schwerste Frage, denn es geht darum, ob du bestimmte Dinge nicht auch delegieren kannst. Eine Steuererklärung kann auch der Steuerberater machen, das Badputzen eine Haushaltshilfe. Und das Protokoll der Jahreshauptversammlung der Freiwilligen Feuerwehr muss nicht immer ich schreiben.
Auch in der Wirtschaft heißt es: Müssen
wir
das machen? Kann man das auch outsourcen? Man kann. Man kann es auch bleiben lassen. Es ist wie immer: Es kommt darauf an. Viele Firmen bereuen es mittlerweile bitter, viel Geld in ein Call-Center oder eine Produktionshalle im Ausland gesteckt zu haben. Andere wären schon längst weg vom Markt, wenn sie sich nicht rechtzeitig dazu entschlossen hätten.
Die Frage »Warum ich?« lässt sich noch radikaler stellen: Müssen wir das wirklich mitmachen? Wenn alle Autohersteller massive Rabatte gewähren, heißt das noch lange nicht, dass automatisch jede Marke mitziehen muss.
Und nun zur letzten Frage: Warum überhaupt?
»Ich muss doch zum Elternabend gehen!«, sagst du. Musst du wirklich? Auch wenn die bisherigen 13 Elternabende eine harte Geduldsprobe waren? In zweieinhalb Stunden werden Dinge besprochen, die auch in zwanzig Minuten über den Tisch hätten gehen können.
Schullandheim-Ausflug – sollen alle Kinder Hausschuhe mitnehmen oder nicht? Und Taschenlampen? Bitte keine Taschenmesser! Auch nicht die mit zwei Zentimeter langer Klinge, um wenigstens mal einem fingerlangen Stöckchen die Rinde abschnitzen zu können. An den Ängsten der Eltern, die aus jedem Schulkameraden ihres Kindes, der bei der Nachtwanderung ein Taschenmesser bei sich trägt, einen Schlitzer machen, wirst du nie im
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