Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen
einmal umwende und sage: »Und richten Sie Herrn Maurer einen schönen Gruß von mir aus!«
Ein starker Abgang – und teuer. In den folgenden Jahren hatte ich es nicht leicht. In der ersten Zeit hielt ich mich über Wasser, indem ich einen Job am Fließband annahm. Während meine ehemaligen Schulkameraden sechs Wochen Sommerferien hatten, stand ich in der Fabrik, arbeitete im Akkord und versuchte mir einzureden, dass ich zufrieden sei. Aber ich war kreuzunglücklich.
Selbst zu handeln heißt nicht automatisch, auch selbst zu bestimmen. Manchmal sieht es nur so aus. Mit meinem Schulaustritt bin ich dem Lateinlehrer zwar zuvorgekommen und habe ihn der Genugtuung beraubt, mich von der Schule verweisen zu lassen. Aber mein Handeln hatte genau die Wirkung, die er beabsichtigt hatte: Er war mich los.
Erst Jahre später dämmerte mir, dass ich ihm in die Hände gespielt hatte. Mein heroischer Akt der Selbstbestimmung war nichts anderes als ein jämmerliches Zappeln an Marionettenschnüren gewesen. Der Lehrer hatte auch in meiner Verweigerungshaltung noch Macht über mich gehabt, denn meine Handlung war massiv von ihm beeinflusst gewesen. Diese Erkenntnis war bitterer als Wermut.
Die klassische Kneipenschlägerei: A provoziert B so lange, bis der zuschlägt. Dann hat B zwar das Gefühl, seine Stellung zu behaupten, aber in Wirklichkeit tut er genau das, was A will – B gibt ihm einen Vorwand, mit doppelter Wucht zurückzuschlagen. Oder: Die halbwüchsige Tochter lässt sich ein Zungenpiercing stechen, weil ihre Eltern das so eklig finden. Oder: Holger tritt das Gaspedal bis zum Bodenblech durch, weil seine Helga ständig jammert: »Fahr doch vorsichtig!«
Gerade wenn ich mich verweigere, übt ein anderer Macht über mich aus.
Egal, ob du tust, was ein anderer von dir erwartet, oder ob du aus purem Trotz genau das Gegenteil machst: In beiden Fällen bist nicht du selbst das Maß deiner Handlung. Ein anderer ist der magnetische Pol, an dem du deinen Kurs ausrichtest. Eigenes Handeln ist nur dann selbstbestimmt, wenn ich das tue, was ich eigentlich will – unbeeinflusst von den Wünschen, den Erwartungen, dem Druck anderer.
Ich hätte meine Energie daransetzen können, das Gymnasium zu schaffen. Aber ich dachte, ich müsste Herrn Maurer zeigen, wer das Sagen hat. Und genau dadurch machte ich die Verhältnisse nur noch klarer: dass er es war, der die Puppen tanzen ließ. Aber es kommt noch besser: Lange Zeit war ich wütend auf ihn und hasste ihn mehr als je zuvor dafür, dass er mich in diese Situation gebracht hatte. Bis ich irgendwann eingesehen habe: Ich war auf meinen eigenen Füßen zum Direktor gegangen. Es war einzig und allein meine Entscheidung gewesen.
Also auch meine Verantwortung.
My aircraft
Alle reden vom Piloten. Und von seinem Assistenten, dem Copiloten. Jeder hat eine klare Vorstellung davon, was sich in einem Cockpit abspielt: Da sitzt der Pilot vor einer aberwitzigen Anzahl von Knöpfen und Hebeln und steuert mit Geschick und Erfahrung das Flugzeug. Gut, manchmal schaltet er auch den Autopiloten ein, aber in den wichtigen Phasen, bei Start und Landung, lenkt er selbst. Er allein trägt die Verantwortung.
Neben ihm sitzt der Copilot. Gelegentlich vertritt er sich die Beine, geht zur Bordküche und holt dem Piloten eine Tasse Kaffee. Nur wenn der Pilot etwas Falsches gegessen hat und Bauchkrämpfe bekommt, ist die Stunde des Copiloten gekommen und er springt mit Schweißperlen auf der Stirn ein. Richtig?
Ganz falsch!
Die Realität sieht vollkommen anders aus. Die Fluggesellschaften sprechen nicht von Pilot und Copilot, sondern vom »Pilot flying« und vom »Pilot monitoring«. Der Name sagt es schon: Beides sind aktive Piloten. Zwar hat nur einer von ihnen das Steuer in den Händen – der Pilot flying. Aber auch der Pilot monitoring trägt Verantwortung. Er ist zum Beispiel für die Kommunikation und die Navigation zuständig. Außerdem wechseln beide immer wieder die Rollen: Der eine fliegt hin, der andere fliegt zurück.
Wichtig für einen sicheren Flug ist es, dass sich Pilot und Copilot ständig gegenseitig kontrollieren. Wenn der Pilot flying die optimale Geschwindigkeit verlässt oder der Copilot eine Funkmeldung falsch versteht, weist ihn der jeweils andere darauf hin.
Es kommt vor, dass der Pilot flying Fehler macht. Wir alle sind Menschen. Er fliegt zu tief, kommt von der freigegebenen Landeanflugschneise ab oder reagiert nicht auf eingehende Funksignale. Dann ist es die Aufgabe des
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