Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen
Leben etwas ändern können. Warum tust du dir das also an? Weil du zeigen willst, dass dir dein Kind wichtig ist? Dann mach mit ihm lieber selbst einmal eine Wanderung. Mit Machete, Lagerfeuer und allem Drum und Dran. Oder gehst du zum Elternsprechtag, weil du hinter den anderen Eltern nicht zurückstehen willst? Hast du das wirklich nötig? Weil du der Lehrerin zeigen willst, dass dir an einem Austausch mit ihr gelegen ist? Dann mach lieber einen Termin mit ihr aus, da lernt sie in wenigen Minuten mehr über dich und deine Familie als in hunderttausend Stunden Elternsprechtag.
»Man muss doch« hat keinen Platz in deinem Leben. Fenster putzen, Abteilungsleiter werden, die komplette CD-Sammlung ins MP3-Format konvertieren, den Mount Everest besteigen, mit den Arbeitskollegen auf den Weihnachtsmarkt gehen und Glühwein trinken, ein dickes Auto und eine schlanke Frau haben, Hosen von True Religion tragen und in der Suppenküche aushelfen. Kannst du alles machen. Musst du aber nicht. Weniger ist mehr. Bei einer Speisekarte im Restaurant ist es doch auch so: Je dicker sie ist, je mehr sie anbietet, desto schlechter ist das Essen.
Wenn du alles, alles tun und sein willst, was »man« so macht und ist, dann kann ich dir garantieren: Du wirst niemals, niemals alles schaffen. Du kannst nicht noch ein bisschen im Büro bleiben, um der Präsentation noch den finalen Kick zu geben, und gleichzeitig mit deiner Freundin so richtig schön essen gehen. Du kannst nicht im Gemeindeausschuss über die Grünpflanzenauswahl für den kleinen Stadtpark diskutieren und gleichzeitig mit deiner zweijährigen Tochter in eben diesem Park auf den Spielplatz gehen.
Spätestens nach diesen vier Checklisten-Fragen stehen die ganzen »Muss ich doch machen«-Tätigkeiten nackt da. Sie bringen weder uns, noch die uns Nahestehenden, noch die Gesellschaft und auch nicht die Welt voran. Und deshalb sind sie ersatzlos streichbar.
Reduced to the Max!
Deine Speisekarte sollte also nicht aus sechzehn verschiedenen Nudelsorten mit je vierunddreißig unterschiedlichen Saucen bestehen. Beschränke dich lieber auf wenige Hauptgerichte. Du kannst eigentlich gar nicht zu viel Unsinniges über Bord werfen. Denn je mehr über Bord geht, desto besser wird das, was im Boot bleibt.
Mir zum Beispiel ist ein Sonntagsspaziergang ganz wichtig. Vielleicht denkst du jetzt: Wie uncool ist das denn! Nun, ich könnte es auch Powerwalking nennen. Aber warum sollte ich? Denn das, was ich mache, ist tatsächlich ein Spaziergang am Sonntag. Ich wohne in Lindau am Bodensee, nicht weit entfernt ist die Stadt Bregenz. Und der Hausberg von Bregenz ist der Pfänder, sein Gipfel liegt sechshundert Höhenmeter über dem See. Ich laufe hoch, kehre oben irgendwo ein, und dann laufe ich wieder runter. Ich renne nicht, ich benutze keine Stöcke; ich gehe. Sonntagsspaziergang eben. Ich gehe hoch, um runterzukommen. Ich lasse die vergangene Woche Revue passieren, ziehe Kraft für die kommende Woche. Tanke auf. Ich wüsste gar nicht, was ich ohne diese vier, fünf Stunden am Sonntag machen würde. Vermutlich am Rad drehen. Verrückt werden. Ich merke genau: Ohne diesen regelmäßigen Freiraum allein mit mir, wo ich den Kopf klar bekomme, ist die folgende Woche gleich ein paar Schattierungen grauer.
Meine Antwort auf Frage 4 (»Warum überhaupt?«) ist also: Wenn ich das nicht tue, dann mutiere ich zu jemandem, der ich gar nicht sein will: unausgeglichen, unleidlich, unkonzentriert. Den Sonntag vor der Glotze hocken und Formel 1 gucken? Manchmal hätte ich Lust dazu, aber das ist es mir nicht wert.
Hier kann ich auch noch mal den Check mit den ersten drei Fragen machen:
»Warum jetzt?«
Ich muss sonntags raus. Denn an allen anderen Tagen in der Woche bin ich voll ausgebucht.
»Warum in dieser Form?«
Ganz einfach: Muckibude kommt für mich nicht in Frage. Auch nichts, wo ich erst einen Neoprenanzug anziehen oder das schwere Sportgerät aus dem Keller holen muss. Nein, ich will auf meinen eigenen Füßen gehen. Raus aus der Haustür und los geht’s. Und:
»Warum ich?«
Klar, delegieren kann ich das nicht. Es nutzt ja nichts, jemanden anderen für mich auf den Berg zu schicken.
Also: Haken dran. Der sonntägliche Spaziergang bleibt. Er ist für mich wichtig.
Diese Erkenntnis hat Auswirkungen: Ich habe zum Beispiel meinen Job als Fluglehrer aufgegeben. Der hat richtig Spaß gemacht, war auch cool fürs Ego. In der Woche Vorträge und Coachings, am Wochenende den Leuten das Fliegen
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