Huebsch in alle Ewigkeit Roman
als sie auf die Idee kam, bei einem Bestattungsunternehmen Make-up zu bestellen, schaffte sie den Durchbruch. Mit ihrer Spezial-Foundation sah sie plötzlich wieder so aus wie früher. Vivi war schon immer ein Genie in Sachen Kosmetik gewesen! Ich widmete mich derweil einer Aufgabe, die mir schon immer zu schaffen gemacht hatte: Ich wollte herauskriegen, wie dieser blöde Zauberwürfel zu lösen war, und bald schaffte ich es reibungslos in weniger als acht Minuten. Wir spielten Tischtennis, schauten uns alte Filme und neue Serien im Fernsehen an und lasen Schmachtfetzen aus der Bibliothek. Manchmal lud Elli ein paar Vampirkollegen ein, und wir saßen um den langen Tisch im Speisesalon und laberten Erwachsenenzeug.
»Wir lange sind wir schon hier?«, fragte mich Vivian eines Abends.
»Keine Ahnung. Fünf Jahre?«
»Ich sag es dir. Es sind genau neun Monate. Man verliert einfach den Überblick, wenn man hier so eingesperrt ist. Ist doch schrecklich.« Wir schauten uns an und waren uns sofort einig. Wir mussten hier weg!
Ede versuchte uns zurückzuhalten und erzählte uns, wie gefährlich es werden könne, wenn man auffiele. Denn auf das Auffliegen der Tarnung standen strenge Strafen, und Zuchthaus war nur die beste davon. Außerdem machte er sich Sorgen, weil unser Verhalten auch auf ihn als Vampirpaten zurückfallen würde.
Aber wir wollten nicht auf ihn hören. Auch seine Warnung vor der Vampirpolizei und vor allem ihrem Chef Kasimir Ture, der äußerst unangenehm werden konnte, nahmen wir nicht ernst.
»Ute, Schnute, Kasimir, ja ja ja, so heißen wir«, sang Vivian, und ich fiel sofort ein: »Hallo du, hallo ihr, wir sind Ute, Schnute, Kasimir!« Wir wussten, dass wir Ede damit zur Weißglut brachten. Und vielleicht lag es auch ein kleines bisschen daran, dass Ede es schließlich aufgab, uns von unseren Plänen abzubringen.
»Keine Sorge, Ede, wir fliegen unter dem Radar«, sagte Vivian zum Abschied.
Elli war natürlich sehr traurig, als wir sie verließen, aber sie wusste, dass sie uns nicht aufhalten konnte. »Passt gut auf euch auf«, sagte sie, bevor wir am Abend des 14. November 1989 in den Zug stiegen, um in Köln ein neues Leben zu beginnen.
Heute
»Da ist sie!«, ruft Vivian und zieht mich durch das Gedrängel zu Lulu, die mit ihren zwei Metern und der gigantischen Baroness-Perücke alle überragt.
»Hallo Mädels«, haucht Lulu in schwulstem Tonfall. Sie ist eine Vampir-Dragqueen und so was wie unsere große Schwester. Wir haben sie kurz nach unserem Umzug nach Köln in der Disco kennengelernt und sind mittlerweile über fünfzehn Jahre befreundet. Sie war uns natürlich sofort aufgefallen, weil sie mit ihrem Kostüm direkt aus dem Film Tanz der Vampire entsprungen sein könnte. Sie sieht aus wie eine klassische Rokokodame, nur im Großformat. Sie ist in allem ein bisschen überdimensioniert. Das Seidenkleid mit dem Brokatbesatz ist natürlich eine Spezialanfertigung, denn ihre üppige Männertaille könnte kein Mieder der Welt bändigen. Sogar das Gummidekolleté ist von beeindruckendem Ausmaß, und mit ihrem monströsen Reifrock ist sie in einer Menschenmenge ungefähr so wendig wie eine Waschmaschine beim Umzug. Da uns der gute alte Ede ungefähr eine Million Mal eingetrichtert hatte, dass die größte Tugend eines Vampirs seine Unauffälligkeit sei, hätten wir niemals damit gerechnet, dass sie ein echter Vampir sein könnte. Aber je lauter man poltert, desto normaler ist
man, behauptet Lulu immer, jedenfalls in Köln. Sie hatte unseren »Körperstatus untot« - wie es im Antragsformular zur »Einrichtung und Wahrung einer neuen Identität in der Vampirrepublik« genannt wird - natürlich in dem Moment gecheckt, als wir sie kichernd auf ihre Verkleidung angesprochen hatten.
Sie hatte meine Frisur begutachtet und gesagt: »Ich schätze, ihr seid Ende der 1980er in den Club aufgenommen worden, hab ich recht?«
Da waren wir erst mal sprachlos gewesen, denn das war das erste Mal, dass wir in Köln einen echten Vampir bemerkt hatten.
»Mädels, Mädels«, hatte sie geseufzt, »ihr müsst noch viel lernen. Aber zum Glück habt ihr Tante Lulu.« Lulu hat uns dann die wichtigsten Dinge beigebracht, die man als Vampir wissen muss und die uns der gute alte Ede verschwiegen hatte. (Wir nennen ihn immer so, dabei ist er auch erst zweiunddreißig, das allerdings schon fast achtzig Jahre lang.) Sie erklärte uns, dass es für Vampire nur zwei beherrschende Themen gäbe, nämlich Blut und
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