Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)
must wait«, sagte die Schwester, während sie die Tür hinter sich schloß. Das war kurz vor halb zwölf. Um zwölf zitterte Julia vor Kälte, und zehn Minuten später kletterte sie wieder von der Liege. »Scheiß-Klimaanlage. Wenn ich noch länger hier drinbleibe, kriege ich Frostbeulen. Ich wärme mich draußen erst mal auf. Kommst du mit?«
Natürlich kam Tinchen mit, sie fror ja genauso. Außerdem konnte Julia allein gar nicht laufen. Und überhaupt sollte man mal nachsehen, wie denn das hier weiterging. Wahrscheinlich hatte man sie in dem dunklen Loch längst vergessen.
Draußen war niemand zu sehen. Die Stühle, vorhin noch von Wartenden besetzt, waren leer. »Ob die Mittagspause haben? Hier gehen doch überall Punkt zwölf die Rolläden runter.« Mitten in die pralle Sonne hatte sich Julia gesetzt und wohlig ihre Beine ausgestreckt.
»Langsam taue ich wieder auf.«
Moses kam herangeschlendert. »Are you okay?«
»Nix ist okay«, schnatterte Tinchen, »wir sind da drin beinahe erfroren, kein Arzt kommt, können Sie nicht mal nachfragen?«
Das tat Moses. Als er zurückkam, grinste er wieder. »Doktor bald kommen, ist noch bei neues Baby.«
»Gute Güte, haben die denn nur einen einzigen Arzt hier?« Das neue Baby ließ sich Zeit. Es war schon nach eins, als die Schwester – diesmal war es eine andere – sie wieder in den Röntgenraum führte. Dort wurden sie schon erwartet. Keine fünf Minuten dauerte es, dann hatte der noch sehr junge Arzt die Aufnahmen im Kasten. »Now you can wait outside.«
Die Bank; auf der sie vorher noch gesessen hatten, lag jetzt im Schatten. Dafür stand das Taxi in der Sonne. Moses parkte es um.
»Ich habe Hunger«, sagte Julia.
»Ich auch«, sagte Tinchen. »Ob Moses uns vielleicht was besorgen kann? Irgend etwas Verpacktes aus dem Supermarkt, Kekse oder so.«
»Bloß nicht! Oma hat doch neulich welche mitgenommen, die schmecken wie gekochte Wellpappe. Ich könnte jetzt so einen richtig schönen Hamburger vertragen. Und ’ne Cola.«
Moses wußte Rat. Ganz in der Nähe gäbe es »Burger’s King«, ob er da mal schnell hinfahren solle? Er ließ sich Geld geben und stieg in sein Auto. »Bringen Sie sich aber auch etwas mit!« rief Tinchen hinterher. Moses nickte erfreut.
Sie warteten weiter. Um halb zwei war Moses mit den Pappschachteln zurück, um Viertel vor zwei hatten sie ihr frugales Mahl beendet, um zwei schickte Tinchen ihren treuen Vasallen erneut los. Ob man denn die Röntgenplatten erst im Fotolabor von Nairobi entwickeln lassen müsse?
Diesmal grinste Moses nicht, als er wiederkam. »Müssen warten auf Doktor, der kann lesen X-ray-Bilder. Noch nicht da.«
»Moment mal«, sagte Tinchen, »soll das heißen, der Arzt, der die Aufnahmen gemacht hat, kann sie selber gar nicht auswerten?«
»War nicht Doktor, war nur Mann, der gelernt hat, X-ray machen.«
Das war einfach zuviel für Julia. Sie krümmte sich vor Lachen und konnte sich kaum beruhigen. »Wenn ich das in der Schule erzähle, glaubt es mir kein Mensch!« japste sie. »Da stellen die jemanden, der so gut wie keine Ahnung hat, an so ein sündhaft teures Gerät und hoffen, daß er brauchbare Aufnahmen hinkriegt. Dabei sollten sie froh sein, wenn er nichts kaputtmacht.«
»Na, ein bißchen Ahnung wird er wohl gehabt haben, immerhin hat er dir eine Bleischürze auf den Bauch gelegt. Was denn nun, wenn die Bilder nichts geworden sind? Dann sitzen wir heute abend noch hier.«
Julia lachte immer noch. »Weißt du, Mutti, ich glaube sowieso nicht, daß ich einen Bänderriß habe. Ich kann schon viel besser auftreten, und es tut auch gar nicht mehr so weh wie gestern. Wahrscheinlich ist das Bein wirklich bloß verstaucht.«
Ihre Selbstdiagnose stimmte. Kurz vor drei kam endlich die so lange erwartete Kapazität, die sich als Dr. Singh vorstellte und in fließendem Deutsch ihre Verspätung bedauerte, ohne allerdings zu sagen, weshalb es denn so lange gedauert hatte. Dann durften sie die beiden Röntgenbilder ansehen und sich erklären lassen, wie sie aussehen müßten, wenn ein Bänderriß vorläge oder gar eine Fraktur. Da beides nicht vorlag, konnten sie auch nichts sehen.
»Sie brauchen nur eine elastische Binde. Haben Sie eine mit?«
Die müsse wohl im Röntgenraum abhanden gekommen sein, sagte Tinchen.
»Dann bekommen sie eine von mir.« Dr. Singh kramte aus einer Schublade einen dicken Ballen hervor und schnitt die ihm genehme Länge davon ab. Er hatte sie schon zur Hälfte um Julias Bein
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