Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)
war. Weder hatte sie sich zum Eis einladen lassen, noch hatte sie eingewilligt, den heutigen Abend in seiner Gesellschaft zu verbringen. Doch, tanzen würde sie schon mal mit ihm, vorausgesetzt, das könne er besser als surfen, aber seine beiläufige Bemerkung, ein nächtliches Bad im Meer sei viel aufregender als das Herumgeplansche im hellen Tageslicht, hatte sie mit einem ironischen Lächeln pariert. »Dann paß nur auf, daß du keinen Infarkt bekommst.«
»Ihr jungen Leute habt es heute doch so einfach, euch näherzukommen«, sagte Frau Antonie, immer noch mit Susis Liebesleben beschäftigt, »wenn ich da an meine Zeit zurückdenke …«
»Jetzt kommt wieder die Story von der Lüneburger Heide«, flüsterte Julia Birgit ins Ohr, und richtig, schon ging es los:
»Wir waren bereits lange verlobt, der Ernst und ich«, begann Frau Antonie, »hatten aber nie die Gelegenheit, für längere Zeit allein zu sein. So kurz nach dem Krieg gab es keine Wohnungen, Ernst hatte ein möbliertes Zimmer, und ich wohnte mit meiner Mutter auch sehr beengt. Wir konnten uns nur ungestört unterhalten, wenn wir spazierengingen. Doch eines Tages bot sich die Gelegenheit zu einem langen Wochenende. Damals wurde ja noch samstags gearbeitet, aber dieser Sonnabend fiel auf einen Feiertag, so daß Ernst zwei freie Tage hatte. In die Heide wollte ich schon immer mal, und so sind wir gleich morgens mit dem Zug nach Lüneburg gefahren und dann einfach drauflosgewandert. In einem kleinen Dorf wollten wir übernachten, es gab auch freie Zimmer, doch die lagen alle vier auf einer Etage, und deshalb haben wir keine bekommen, weil wir nicht verheiratet waren.«
»Oma, du hast doch nicht etwa an voreheliche Beziehungen gedacht?« unterbrach Julia Frau Antonies Monolog.
»Natürlich nicht, mein Kind, zu meiner Zeit ging man noch unberührt in die Ehe, aber man wollte uns ja nicht einmal zusammen unter einem Dach schlafen lassen.«
»Ja und? Haben Sie dann in einem Heuschober übernachtet?« fragte Birgit interessiert.
»Dazu kam es glücklicherweise nicht. Wir fanden ein anderes Gasthaus, in dem weniger strenge Sitten herrschten und man uns zwei Einzelzimmer gab. Später, als wir schon verheiratet waren, sind wir noch einmal dorthin gefahren, und ich kann mich noch erinnern, wie stolz ich meinen neuen Ausweis vorgezeigt habe.«
»Haben Sie dann wenigstens ein Doppelzimmer gekriegt?«
»Selbstverständlich.« Eine zarte Röte überzog Frau Antonies Gesicht. Das Gespräch nahm eine Wendung, die ihr nicht behagte. Das junge Volk von heute besaß einfach kein Taktgefühl mehr.
»Wer ist denn das? « Ganz große Augen hatte Julia bekommen, als sie zum Eingang des Speisesaals blickte. Vorsichtig drehte sich Birgit um. »Meinst du das Walroß? Die sind gestern angereist, Otto mit Edeltraut und Thea mit Josef. Das da ist Thea. Ihr Mann handelt mit Obst und Gemüse, und Otto hat ’ne Kneipe.«
»Woher weißt du das bloß schon wieder?«
»Ich hab gerade Geld umgetauscht, als Otto mit zu Hause telefoniert und den Wenauchimmer angebrüllt hat, er müsse sich an die Polizeistunde halten und notfalls den Stammtisch mit Gewalt an die Luft setzen. Erst habe ich gedacht, das ist ein Bulle, aber dann hat er noch gesagt, daß in den nächsten Tagen Bier angeliefert wird und daß der Fahrer die leeren Fässer mitnehmen soll. Na ja, und Josef ist gestern gleich zur Fähre runtermarschiert, hat sich die Preise von dem ganzen Grünzeug notiert und den halben Abend lang an der Bar räsoniert, wieviel er dafür auf dem Großmarkt bezahlen müsse, wo doch eine Ananas hier bloß zwanzig Pfennig kostet.«
Walroß war die richtige Bezeichnung für die aber schon sehr dicke Frau, die sich jetzt ächzend auf ihren Stuhl fallen ließ. Der Kanga war nicht groß genug, ihre Körperfülle völlig zu bedecken, und was darunter zum Vorschein kam, war – Tinchen wollte es nicht glauben – ein Minibikini. Kaum zu sehen war er, der größte Teil davon verschwand in den Speckfalten, doch Thea schien das nicht zu stören. Sie vertiefte sich in die Speisekarte.
»So etwas ist unästhetisch«, sagte Frau Antonie nicht gerade leise, »wenn man Figurprobleme hat, sollte man sich entsprechend kleiden und seinen Mitmenschen diesen Anblick ersparen. Zumindest während der Mahlzeiten.« Sprachs und erhob sich.
Die anderen standen ebenfalls auf. »Das ist noch gar nichts«, wisperte Birgit, »wartet mal ab, bis sie sich auf ihre Liege gewälzt hat.«
Das dauerte noch eine Weile.
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