Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)
schob. »Das ist so einer, der mit einem Hemd und einem Zwanzigmarkschein in Urlaub fährt, und wenn er zurückkommt, hat er beides nicht gewechselt.«
Julia kicherte leise. »Ist dir eigentlich schon aufgefallen, daß wir mit unseren Jogginganzügen direkt zivilisiert angezogen sind? So ganz hatte ich Karsten nämlich nicht über den Weg getraut, aber wenn ich dieses Outfit hier so sehe …«
»Und warum nicht? Neun Stunden in so ’ner fliegenden Ölsardinenbüchse kann man doch nicht bügelgefaltet durchstehen. Oma wird ihren Mottenfiffi noch zum Teufel wünschen.«
Erbitterte Auseinandersetzungen hatte es noch am Morgen gegeben, als Frau Antonie ihre recht sportlich gekleideten Nachkommen gesichtet hatte. »Ich reise doch nicht in Begleitung eines Kegelklubs«, hatte sie empört ausgerufen, »was sollen denn die anderen Passagiere denken?«
»Gar nichts, weil sie nämlich größtenteils genauso aussehen werden«, hatte Karsten gesagt. »Du wirst auffallen! Wer fährt denn schon im Schneiderkostüm nach Afrika? Laß wenigstens den Skalp hier!«
Aber auch das hatte Frau Antonie abgelehnt. Der Silberfuchskragen gehöre nun mal dazu, genau wie der Hut, ohne den eine Dame bekanntlich nicht angezogen sei. »Allerdings habe ich mir bequeme Schuhe gegönnt, obwohl sie farblich nicht so richtig harmonieren.«
»Hoffentlich hast du noch andere mit. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, wie man auf Blockabsätzen durch Seesand staken soll.«
Diese Überlegung interessierte Frau Antonie zur Zeit überhaupt nicht. Etwas abseits saß sie auf einem Stuhl und ließ sich von Tinchen die Stirn mit Kölnisch Wasser kühlen. Zwei Beruhigungspillen hatte sie schon geschluckt, auch eine gegen Kopfschmerzen, obwohl sie noch gar keine hatte, aber die würden mit Sicherheit kommen. Diese vielen Menschen hier, und die meisten von ihnen absolut nicht das, was sie erwartet hatte. Manche Damen, nein, so konnte man sie wohl nicht nennen, also Frauen, kaum jünger als sie, liefen in knielangen Hosen herum, und niemand schien etwas dabei zu finden. Das sollten ihre Mitreisenden sein? Womöglich bewohnten die auch noch dasselbe Hotel. Nicht auszudenken, wenn man am selben Tisch mit ihnen sitzen müßte. Frau Antonie griff erneut zur Tablettenschachtel.
»Wenn sie so weitermacht, ist sie in einer Stunde high«, flüsterte Tinchen ihrem Bruder zu. Der hatte das Einchecken beendet und pfiff jetzt zum Sammeln.
»Was ich noch sagen wollte, Ernestine«, begann Frau Antonie zögernd, »nur damit du Bescheid weißt: Mein Letzter Wille liegt in der obersten rechten Schublade von der Frisierkommode. Ich habe ihn gestern abend noch geschrieben.«
»Sollte der Flieger abstürzen, wovon du offenbar nicht abzubringen bist, dann nützt mir dein Testament auch nichts mehr, weil ich genauso tot sein werde wie du«, sagte Tinchen trocken.
»Kind, wie kannst du nur so reden.«
Etwas weiter hinten stand ein grinsender Florian. »Guck dir bloß mal deine Mutter an, Karsten, jetzt sieht sie wirklich aus wie auf ihrem Paßfoto.«
Später wußten sie nicht mehr, wie sie Frau Antonie in den Warteraum gebracht hatten. Bei der Durchleuchtungskontrolle hatte sie sich geweigert, ihre Handtasche aufs Band zu legen, weil es niemanden etwas anginge, was sie bei sich trage, und wieso man denn glaube, daß ausgerechnet sie eine Bombe ins Flugzeug schmuggle, wo sie doch auch ohne Sprengstoff davon überzeugt sei, niemals heil anzukommen …
»Es ist ihr erster Flug«, hatte Karsten dem Beamten zugewispert, und der hatte verständnisvoll genickt. »Dann passen Sie mal gut auf, daß sie unterwegs nicht aussteigt.«
Im Duty-free-Shop hatte Tinchen eine Flasche Sekt gekauft. Jetzt verteilte sie Pappbecher. »Flori, mach mal auf!«
»Hier? Das Zeug ist doch lauwarm.«
»Egal, wir trinken uns in Urlaubsstimmung.«
Sogar Frau Antonie genehmigte sich ein Schlückchen, obwohl sie Sekt noch niemals aus Pappe getrunken hatte. Er schmeckte ihr trotzdem, denn als die Flasche leer war, schickte sie Tobias nach einer neuen. Entsprechend beschwingt und gar nicht mehr ängstlich bestieg sie das Flugzeug, bereit, den kommenden Gefahren mannhaft ins Auge zu sehen.
Tinchen bot ihr ihren Fensterplatz an, den Frau Antonie jedoch ablehnte, weil sie es nicht vertrage, in die Tiefe zu sehen.
»Mutti, draußen ist es dunkel, da siehst du sowieso nichts. Aber der Eckplatz ist am bequemsten, du kannst wenigstens den Kopf anlehnen.«
Frau Antonie lehnte probehalber den Kopf an, fand
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