Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)
eindeutig?« Jetzt war Tinchen doch beunruhigt.
»Nun ja«, Frau Antonie suchte nach einem passenden Wort, um dieses delikate Thema möglichst taktvoll zu behandeln, »man nennt das heutzutage wohl knutschen. Natürlich habe ich Julia sofort ins Zimmer geschickt und dem jungen Mann klargemacht, aus welcher Familie sie stammt. Er kann sie doch nicht behandeln wie Freiwild.«
Tinchen hatte Mühe, sich das Lachen zu verkneifen. »Ach, Mutsch, auch Unschuld ist Übungssache. Wenn ich daran denke, wie viele Peters und Ralphs und Marks schon bei uns vor der Haustür gestanden haben, um deine Enkelin zum Schwimmen abzuholen, zur Disco, zum Kino, zur Frittenbude oder sonstwohin, dann bin ich mir ziemlich sicher, daß auch Daniel nichts weiter ist als ein Urlaubsflirt. Im übrigen wohnt er in Bremen, da geht die Liebe sowieso an der Geographie zugrunde.«
»Du mußt es ja wissen«, sagte Frau Antonie spitz, »es handelt sich Gott sei Dank nicht um meine Tochter.«
»Eben. Und jetzt sieh zu, daß du deine Languste kriegst, sonst sind die auch noch alle.«
Als Tinchen an ihren Tisch zurückkehrte, kratzte Tobias gerade den letzten Rest Karamelpudding vom Teller. »Nun fühle ich mich gesättigt.« Er rülpste dezent.
»Tobias!!!« rief Tinchen entsetzt, während Florian lapidar bemerkte: »Sie hörten den Landfunk. Es sprach die Sau.«
Tinchen wurde wach von einem Klappern im Bad, vermischt mit unterdrückten Flüchen und einem Murmeln, das so ähnlich klang wie »Scheiß-Latein« und »Überall fehlt die Gebrauchsanweisung«.
»Suchst du was Bestimmtes?« Gähnend blinzelte sie auf die Uhr. Gerade Mitternacht vorbei.
»Wozu brauchen wir Entkeimungstabletten für Trinkwasser und Salzpillen? Hattest du eine Wüstenwanderung vor?« Noch immer wühlte Florian den Inhalt der Pappschachtel durcheinander, die als Reiseapotheke diente und neben drei Metern Hansaplast auch so nützliche Dinge enthielt wie Süßstoff, Nähseide und Kaugummi. »Hast du nichts mitgenommen gegen Magenschmerzen?«
»Nein.«
Er schlappte zurück ins Zimmer, in der Hand ein Glas Wasser mit einer Sprudeltablette.
»Die ist aber gegen Kater«, klärte Tinchen ihn auf.
»Den habe ich auch. Und außerdem scheußliche Magenschmerzen. Was meinst du, ob Toni was hat?«
Diese Vorstellung amüsierte Tinchen. »Bei Toni findest du Schlaftabletten und fünf verschiedene Präparate gegen Migräne, aber mit dem Magen hat sie noch nie was gehabt, sonst würde sie keine von ihren gesundheitsschädlichen Diätkuren durchstehen.«
»Das sieht ihr ähnlich. Und wie kriege ich jetzt meine Magenschmerzen weg?«
»Friß nicht soviel«, sagte Tinchen mitleidlos, »dann bekommst du erst gar keine.«
Gegen diesen durchaus berechtigten Ratschlag war im Prinzip nichts einzuwenden, nur hatte Florian ein bißchen mehr Anteilnahme erwartet. Er trank sein Glas aus, stöhnte nachdrücklich und kroch wieder ins Bett, um dort würdevoll zu sterben. Das Schönste an kleineren Wehwehchen ist immer noch das Selbstmitleid. Und das Schönste am Selbstmitleid ist, daß es auch ohne Wehwehchen funktioniert.
Kapitel 7
H ochseefischen bedeutet früheres Aufstehen, weil der Kahn schon um halb acht Uhr ablegt. Wegen der Flut. Frühes Aufstehen wiederum bedeutet den hoteleigenen Weckdienst, und so kam es, daß Tinchen im Morgengrauen schreiend in ihrem Bett hochfuhr. Jemand drosch ganz fürchterlich mit einer Eisenstange auf die Holztür ein.
»Was’n los?« Sogar Florian war aufgewacht, obwohl ihn normalerweise weder ein mittelschweres Gewitter noch ein bratpfannengroßer Wecker mit doppeltem Läutewerk aus dem Schlaf holen konnten.
»Einbrecher! Mörder! Mau-Mau!« Zitternd kroch Tinchen unter die Decke. Ob wohl das Badezimmerfenster eine Fluchtmöglichkeit bot? Verflixt klein war es, Florian hätte überhaupt keine Chance, aber sie selbst könnte es vielleicht schaffen und Hilfe holen. Vorausgesetzt, die Eingangstür hielt den immer noch draufprasselnden Schlägen eine Weile stand.
»Ich habe noch nie gehört, daß Einbrecher sich akustisch anmelden. Da hat bestimmt jemand den Bungalow verwechselt.« Trotzdem bewaffnete sich Florian mit einer Nagelschere, bevor er die Tür einen Spaltbreit öffnete. Vor ihm stand ein baumlanger Askari, der gerade seinen Gummiknüppel wegsteckte und Anstalten machte, den Fensterriegel mit einem Taschenmesser zu bearbeiten.
»Junge, hast du ’n Rad ab?« Doch dann fiel Florian ein, daß die kenianische Urbevölkerung mit den Feinheiten der
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