Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)
ein sündhaft teures Geburtstagsmenü, und der Ehrengast ist beleidigt. Bist du wirklich so blöd, oder tust du nur so?«
»Happy birthday to you …« intonierte Frau Antonie, hörte aber schnell wieder auf, als niemand mitsingen wollte. Statt dessen begann sie mit der sorgfältig konzipierten Ansprache: »Mein lieber Florian! Zum erstenmal …«
Der liebe Florian sank entgeistert auf den bekränzten Stuhl, weil der am nächsten stand, sprang aber jaulend wieder hoch. »Da piekt was!« Er deutete auf seinen verlängerten Rücken, woraufhin Tinchen den fraglichen Bereich inspizierte und einen zentimeterlangen Dorn entfernte. Vorsichtshalber räumte sie gleich den ganzen Blumenflor vom Sitz, und dann legte Frau Antonie von neuem los: »Zum erstenmal feiern wir einen runden Geburtstag fern der Heimat …«
»Herzlichen Glückwunsch, Vati, und alles, alles Gute für die nächsten fünfzig Jahre.« Anderthalb Seiten umfaßte das Konzept von Frau Antonies Rede, Grund genug für Julia, die Sache abzukürzen. Dann gratulierten Tinchen und Tobias und Karsten und schließlich, wenn auch mit süß-saurem Gesicht, Frau Antonie.
»Liebe Schwiegermama, ich danke dir für die gelungene Überraschung, denn ich bin überzeugt, daß sie allein deine Idee gewesen ist.« Frau Antonie fühlte sich plötzlich umarmt und auf die gepuderte Wange geküßt, was sie als besondere Auszeichnung empfand, denn dazu hatte sich Florian zum letztenmal an ihrem vierzigjährigen Hochzeitstag herabgelassen.
»Deine Rede hältst du nachher noch mal, ja? Am besten nach dem Essen, dann hören wir bestimmt viel aufmerksamer zu.« Er gestand ein, daß er in der Tat seinen Geburtstag vergessen hatte, obwohl der doch der eigentliche Grund für diese Reise gewesen war, und wie gerührt er sei, daß seine Lieben nicht nur daran gedacht, sondern ihn auch noch so überreich beschenkt hatten. Dabei schnupperte er an dem dunkelblauen Fläschchen, das ihm Julia zugesteckt hatte. »Was is’n das? Was zu trinken?«
»Quatsch!« Sie deutete auf das Etikett. »Das ist ein Eau de toilette for men und ganz neu auf dem Markt. Habe ich in Rudis Reste-Rampe entdeckt und gleich gekauft. Es heißt ›Arabische Nächte‹ und riecht ein bißchen nach Benzin.«
»Bei den ständig steigenden Spritpreisen sicher bald eine seltene Duftnote«, bestätigte Florian dankbar. »Ich werde das Parfüm erst zu Hause benutzen, einverstanden?«
Das Frottierhandtuch gefiel ihm ebenfalls, zumal sich Tobias den Hinweis auf etwa bestehende Ähnlichkeiten mit dem Nilpferd verkniffen hatte, und beim Anblick des fotografierten Blazers behauptete er sehr überzeugend, sich so etwas schon längst gewünscht, aus Kostengründen jedoch immer wieder darauf verzichtet zu haben. In Wahrheit haßte er diese Art Jacken, die nach seiner Ansicht auf eine Segelyacht gehörten oder zu einem Collegeboy in Oxford.
Erst als sich der Trubel gelegt und alle Platz genommen hatten, präsentierte Frau Antonie ihr Geschenk. Verschiedene Möglichkeiten, den profanen Umschlag mit Sichtfenster vorne drauf wirkungsvoll zu drapieren, hatte sie wieder verworfen. Unterm Gedeck hätte Florian ihn bestimmt nicht gleich gefunden, verfressen, wie er nun mal war, würde er sich nur für die gefüllten Teller interessieren. In die kunstvoll gefaltete Serviette hatte das Kuvert nicht hineingepaßt, und zwischen den Blumenranken hatte es ausgesehen wie ein versehentlich liegengebliebenes Stück Papier. Also hatte sie sich entschlossen, ihr Geschenk persönlich zu überreichen. Das war auch am wirkungsvollsten.
Die erhoffte Reaktion kam prompt. Nicht nur Florian bedankte sich überschwenglich, auch die Enkelkinder sprangen von den Stühlen und umhalsten ihre Großmutter, was die sich ausnahmsweise ohne Protest gefallen ließ.
Mehrere Male schon hatte Oberkellner Moses, heute zur Bedienung der Restaurantgäste abgestellt, um die Ecke geschielt und auf einen Wink gewartet, den ersten Gang servieren zu dürfen. Nun war es endlich soweit.
»Zuerst gibt es geräucherten Sailfisch mit Buttertoast«, zählte Karsten auf, »danach Entrecôte mit Prinzeßböhnchen und Kartoffelkroketten und hinterher Crêpes mit Vanilleeis. Auf den zweiten Gang habe ich – euer Einverständnis voraussetzend – verzichtet, heute ist Consommé Royal dran. Dazu trinken wir einen Rheinwein, der zu Hause im Supermarkt bestenfalls vierfuffzig kostet, hier aber mit einer Luxussteuer belegt ist. Genießt also jeden Tropfen, er ist teurer als Veuve
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