Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)
Antonie bisher angezweifelt hatte. Mußte sie doch jedesmal um eine zweite Gabel kämpfen, wenn sie die erste bereits benutzt hatte und sich weigerte, Gurkensalat und Melonenscheiben mit demselben Besteck zu essen.
Überwältigend war der Blumenschmuck. Verschiedenfarbige Blütenzweige umrahmten jedes Gedeck, und der für Florian vorgesehene Stuhl war zusätzlich bekränzt. Sogar auf dem Sitz lagen Blumen.
Nur flüchtig hatte Tinchen einen Blick auf das ganze Arrangement geworfen, und als sie Frau Antonies befriedigte Miene gesehen hatte, war sie wieder zurück in den Bungalow gelaufen. Noch immer weigerte sich Florian beharrlich, sein Refugium zu verlassen. »Ich habe keinen Hunger.«
»Natürlich hast du Hunger.«
»Selbst wenn ich welchen hätte, würden mich keine zehn Nashörner in den Speisesaal kriegen. Die hauen mich doch alle in die Pfanne! Würde ich ja genauso machen«, gab er kleinlaut zu.
»Erfahrene Propheten warten die Ereignisse ab. Und jetzt zieh dich endlich um!«
Heilfroh war sie, daß sogar das Geburtstagskind seinen eigenen Jubeltag vergessen hatte. Was keineswegs erstaunlich war, lebte man doch hier völlig abgeschottet vor sich hin, bekam keine Zeitung mit Datum zu Gesicht, hörte kein Radio, und welcher Wochentag gerade war, konnte man allenfalls an den phantasievollen Namen der immer gleichen Suppe erraten. Montags schwammen am Tellerrand ein paar Petersilienstengel, dann hieß die Brühe Consommé Royal; dienstags war sie undurchsichtig, schmeckte zwar genauso, nannte sich aber Legierte Gemüsesuppe; mittwochs enthielt sie ein Dutzend Graupen und trug die Bezeichnung Soupe à la Marie Antoinette, und ab Donnerstag hatte Tinchen auf den ersten Gang verzichtet.
Ein Glück, daß wenigstens Frau Antonie den Überblick behalten hatte. Sie führte sogar Tagebuch und trug von den Liegestuhlpreisen bis zu den Ingredienzen von Planters Punch, ihrem Lieblingsgetränk, alles gewissenhaft ein. Ohne sie wäre Florian bestimmt nicht termingerecht jubelgefeiert worden.
»Dein Vater und ich haben uns lange überlegt, womit wir Florian eine Freude machen könnten«, hatte sie Tinchen vorhin erzählt. »So einen Wendepunkt in seinem Leben – und ein fünfzigster Geburtstag ist nun mal ein solcher Tag – feiert man nicht oft. Ich glaube, Ernst hat da einen guten Einfall gehabt.« Dann hatte sie die Buchungsbestätigung für eine Anderthalbtage-Safari aus der Handtasche gezogen. »Die werde ich nachher unauffällig unter Florians Teller legen. Natürlich gilt sie für euch alle vier«, hatte sie mit vielsagendem Lächeln hinzugefügt, »ganz so unbedeutend, wie Karsten seinerzeit behauptet hatte, sind die Nebenkosten ja wohl doch nicht.«
Das hatte Tinchen auch schon festgestellt. Auf rätselhafte Weise wurde das Geld immer weniger, und als Tobias vorhin kleinlaut angekommen war und um Taschengeldvorschuß gebeten hatte, damit er für seinen Vater eine Kleinigkeit kaufen könnte, hatte sie ihren letzten Zweihundertshillingschein herausgerückt. Jetzt besaß sie noch hundert Mark eiserne Reserve, versteckt in der leeren Schachtel von der Zahnpastatube und eigentlich gedacht für den kleinen goldenen Anhänger, der die Umrisse des afrikanischen Erdteils zeigte und so gut zu ihrem Halskettchen gepaßt hätte. Na, dann eben nicht, mußte ja nicht sein!
Ihr eigenes Geschenk für Florian hatte sie zu Hause gelassen. Der Blazer wäre hier unten sowieso viel zu warm gewesen, und überhaupt hätte er gar nicht mehr in den Koffer gepaßt. Mit Herrn Knopps Polaroidkamera hatte sie jedoch ein Foto gemacht, die Jacke vorher schön dekoriert – auf dem grauen Ledersofa sah sie viel teurer aus, als sie im Winterschlußverkauf gewesen war –, und während Florian im Bad einen Soßenfleck aus seiner hellen Hose rieb, kramte Tinchen den Schrank durch. Sie suchte die Glückwunschkarte mit dem eingeklebten Foto. Ein prima Versteck hatte sie für das Kuvert gefunden, wo es vor Florians Zugriff garantiert sicher war, bloß wo war das gewesen? Im Schrank nicht, den hatte sie schon zweimal durchgewühlt, auch nicht in der Tischschublade und in keiner ihrer Hosentaschen. Wo zum Kukkuck hatte sie diesen Umschlag vergraben? Plötzlich fiel ihr Blick auf den Behelfsnachttisch und den daraufliegenden Bücherstapel. Richtig, Rex Stouts »Champagnerparty«. Krimis rührte Florian niemals an, er hatte sich als Urlaubslektüre einen Wälzer mit dem bezeichnenden Titel »Die Playboys« mitgenommen, war jedoch noch nicht weit
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