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Hühnergötter

Titel: Hühnergötter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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hinüber zum Hafen sehen. Er strauchelte und fing sich erst im letzten Moment, sonst wäre er mit dem Kopf auf das Deichpflaster geschlagen. Er wollte sich gleich wieder aufrappeln, da entdeckte er das Schiff draußen in der Fahrrinne. Die Vitte . Das wusste Marten sofort. Die Lampen so hoch auf dem Passagierdeck und dieses dunkle Motorendröhnen hatte nur diese Fähre, die anderen Schiffe glitten flacher und leiser über das Wasser, ihre Maschinen machten einen höheren Ton.
    Marten schob sich noch ein kleines Stück zurück. Der Deich sollte sein Versteck sein. Wenn er den Kopf senkte, verschwanden Fähre und Hafen und Polizisten. Je nachdem, wie weit er sich aufrichtete, kamen Teile des Bildes zum Vorschein. Immer nur so viel, wie er aushalten konnte, ohne dass sein Herz zu sehr klopfte.
    Und dann öffnete die Vitte ihr riesiges Maul. Sie spie Autos an Land. Polizeiautos, eins nach dem anderen. Grün-weiße Autos, die so groß waren, wie Marten sie noch nie gesehen hatte. Leute in dunklen Kleidern saßen darin. Bald liefen Männer auf dem Anleger hin und her, mit Hunden, die aussahen wie Wölfe. Sie sprachen laut und streng, streckten Arme geradeaus und ruderten Kreise in die Luft, bis sich die Fahrzeuge wieder in Bewegung setzten.
    Erst als das letzte Rücklicht hinter den Hafenschuppen verschwunden war, richtete Marten sich auf. Er stolperte den Deich hinunter. Die Fäuste hoch vor der Brust geballt schlug er mit den Ellenbogen wie ein ungelenkes, verstörtes Tier.
     

Sonntag
    »Ich dachte, ihr sucht so’n Rad«, rechtfertigte sich der Klausner-Wirt.
    »Aber eins mit neuem Gepäckträger! du musst schon richtig hingucken, bevor du die Polizei alarmierst. « Kästner klang gereizt. Es war das vierte Rad, das sie heute besichtigten. Eins lehnte gegen den Zaun vom Hotel am Meer in Neuendorf, zwei lagen an verschiedenen Strandaufgängen achtlos in den Strandhafer geworfen. Keines entsprach auch nur annähernd der Beschreibung auf den Handzetteln. Dieses hier kam dem gesuchten noch am nächsten. Bis auf den verrosteten Gepäckträger natürlich.
    Der Wirt hob mit resignierter Geste die Hände. »Bei dem Betrieb wär mir sonst nicht mal aufgefallen, wie lange das Rad da schon steht.«
    »da macht wohl jemand einen ausgiebigen Strandspaziergang. « Kästner machte eine Kopfbewegung Richtung Steilküste.
    »Das ist hier ein Restaurant und kein Fahrradparkplatz«, knurrte der Wirt und bot zur Entschädigung für den vergeblichen Einsatz Kaffee an.
    Kästner nickte zufrieden. »Und ein Salamibrot.« Die gute Gelegenheit, aus der Hektik des Rathauses zu fliehen, wollte er nicht ungenutzt lassen.
    »Wir sind ja sozusagen Vertriebene. In unserem Büro haben sich andere breitgemacht«, feixte er und schob Pieplow zu einem Schattenplatz etwas abseits des Trubels. Die Wartezeit verkürzte er sich damit, den kurzberockten Kellnerinnen hinterherzugucken. Auf dem Nachbartisch waren Zeitungen liegen geblieben.
    WO IST LEONIE ? schrie es in fetten schwarzen Buchstaben von einem Titelblatt. Darunter das Fahndungsbild und ein Foto von Marie, wie sie mit den Händen ihr Haar zerwühlte. Der Fotograf musste für das Bild in den Garten gestiegen sein. Es war durch das offene Fenster aufgenommen. Fortsetzung Seite drei. Pieplow blätterte. Was weiß Marten B. ? Aus allen Aufnahmen, die auf dem Film sein mochten, hatten sie eines ausgewählt, auf dem Martens Gesicht wie eine Fratze aussah. Kraus zusammengezogene Stirn, schmale Augenschlitze und ein verzerrter Mund, der die Zähne bloßlegte.
    Wütend packte Pieplow die Zeitungen beiseite. »Heute ist Sonntag. Wer weiß, was die sich für morgen ausdenken. Du hast gesehen, was los war. Fernsehen, Rundfunk, diese ganzen Zeitungsfritzen. Was unternimmt die Polizei, um das Kind zu finden? Sehen Sie eine Verbindung zum Fall Angelina? Gibt es Hinweise auf eine Erpressung, ein Sexualverbrechen, ein sonst was?«, äffte Pieplow mit hoher, hektischer Stimme nach. »Bombenauflagen mit einer Überschrift wie Säugling auf Hiddensee vergewaltigt käme denen wohl grade recht – pfui, Teufel. Und weil sie sonst nichts haben, schießen sie sich auf Marten ein.«
    »Früher hätt’s das nicht gegeben«, knurrte Kästner.
    Diesmal musste Pieplow ihm zustimmen. Er griff nach der zweiten Zeitung.
    Die Insel der reinen Seelen verliert ihre Unschuld , stand dort weniger groß, mit viel Text, ohne Bild.
    »So’n Quatsch«, kommentierte Kästner. »Was wissen die von unseren Seelen? Wer schreibt denn

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