Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hühnergötter

Titel: Hühnergötter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
Vom Netzwerk:
falls die Stunde im Gebüsch nicht folgenlos bliebe. Und das überlebte sie nicht. Der Mann schlug ihr mit einem Stein ein Loch in den Schädel, aus dem schon die Maden krochen, als man sie vier Tage später in der Swantewitschlucht fand.
    Ein paar Blätter mit Leonies Bild und dem Polizeitext daneben waren noch übrig. Alle würde er wohl nicht loswerden, schätzte Pieplow. Auf dem letzten Stück bis dorthin, wo der Außendeich abzweigte, traf er nur noch wenige Menschen. Ihre Körper hatten den ganzen Tag Wärme getankt, jetzt begannen sie zu frösteln und wollten nach Hause. Wie die Frau, die mit verschränkten Armen den letzten Strandaufgang heraufkam.
    Pieplow erkannte sie wieder, obwohl sie anders wirkte, als er sie in Erinnerung hatte. Sie schien ihm dünner, die Nase spitzer, aber die Lippen noch genauso voll, nur nicht dunkelrot geschminkt. Das Haar kürzer, sehr kurz sogar, fast wie eine Männerfrisur. Lächelnd reichte er ihr einen Handzettel.
    »Auch wieder da«, stellte er fest. Etwas anderes fiel ihm auf die Schnelle nicht ein.
    Sie nickte, ohne zu lächeln. »Ja, seit längerem mal wieder.«
    Wie lange mochte das her sein? Pieplow versuchte nachzurechnen. In einem Sommer wie diesem, mit warmen, sternenübersäten Nächten war sie im Wieseneck plötzlich neben ihm aufgetaucht. Eigentlich hatte sie zurück auf die Tanzfläche gewollt und war dann doch bei ihm an der Theke geblieben. Das spöttische Lächeln im erhitzten Gesicht stand ihr gut, und Pieplow hatte Mühe, beim Anblick der feuchten Haarspitzen über der Stirn und der Schweißperlen in ihrem Ausschnitt nicht an Sex zu denken. Vielleicht wäre sogar etwas daraus geworden, wenn nicht irgendein Trottel ihm auf die Schulter gehauen und »Na, Sheriff, wieder mal auf Brautschau?« gebrüllt hätte.
    Sie hatte gelacht. »Na so was! der Dorfpolizist!«, war dann vom Barhocker gerutscht und zwischen den Tanzenden verschwunden.
    »Das ist dienstlich«, erläuterte Pieplow, um irgendwas zu sagen und weil sie nur einen flüchtigen Blick auf das Papier warf. »Wir suchen ein Kind. Ein drei Monate altes Mädchen. Sie heißt Leonie. Leonie Eggert.«
    »Ach so«, erwiderte sie nur und schaute über die Schulter zurück Richtung Strand, von wo ein Mann mit einer Art Rucksack auf dem Bauch auf sie zukam.
    »Ja. Und wenn dir etwas auffällt, die Telefonnummer steht auch auf dem Zettel. Sie ist Tag und Nacht zu erreichen Oder du kommst direkt zur Polizeistation. « Pieplow bemühte sich, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen, aber er sah nicht der Frau ins Gesicht, sondern dem Mann entgegen, aus dessen Rucksack ein weiß-blau bemützter Kopf hervorlugte. Sie kam also nicht mehr solo hierher.
    »Na dann«, sagte sie und ging weiter, ohne auf den Mann und das Kind zu warten.
    Sie werden sich gestritten haben, vermutete Pieplow. Jetzt stapft sie eingeschnappt vorneweg, und er kann sehen, wo er bleibt. Aber sie haben wenigstens einander, und solch ein Streit dauert ja nicht ewig. Immer noch besser als ganz allein sein.
     

     
    Endlich war niemand mehr im Haus. Außer Fine, die still und bleich in ihrem Sessel saß, obwohl sie sonst um diese Zeit schon in ihrem Bett lag.
    Marie hörte das Klappern der Haustür, dann Olivers Schritte auf dem Weg durch den Garten.
    Sie hatte seine Berührungen nicht ertragen, seine Stimme nicht und nicht die unsinnigen Ratschläge.
    »Leg dich doch hin. Versuch zu schlafen. Du wirst sehen, sie finden sie.«
    Wie aus einem billigen Film. Aber hier gab es kein glückliches Ende mit tüchtigen Polizisten, die das verlorene Kind wohlbehalten zurückbrachten.
    Hier gab es ein leeres Bett, über dem noch der Duft von Kamille und Milch hing. Auf dem bunten Teppich entdeckte sie Erdkrümel. Einer der Polizisten musste sie unter den Schuhen hereingetragen haben. Im ganzen Haus waren sie herumgegangen, hatten jedes Zimmer geöffnet, in die Schränke gesehen und hinter jeden Vorhang.
    Es war klar, warum sie das taten.
    Wenn einem Kind etwas zustößt, suchen sie zuerst in der Familie. Bei den Eltern, Verwandten, Freunden. Gab es jemanden, der besonders großes Interesse an Leonie zeigte? Ein Kindermädchen, eine Freundin, ein Gast vielleicht?
    Marie hatte kaum sprechen können, nur immer wieder weinend den Kopf geschüttelt, bis sie sich schließlich die Hände gegen die Ohren gepresst hatte. Sie wollte all diese Fragen nicht mehr hören. Sie wollte, dass sie endlich ihr Kind suchten. Mit Hunden, mit Hubschraubern, mit allem, was möglich

Weitere Kostenlose Bücher