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Hühnergötter

Titel: Hühnergötter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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Fragen man Oliver besser nicht stellte. Außerdem war es ihm wahrscheinlich auch gleichgültig, wenn Oliver in Rage geriet.
    Maries Blicke hetzten zwischen den Männern hin und her, bis sie plötzlich spürte, dass Ostwald es darauf angelegt hatte. Ihm entging keine Bewegung, kein Zucken in Olivers Gesicht, auch nicht, wie er die Lider zusammenpresste und den Mund schmal werden ließ. Ein paar Sekunden blieb es vollkommen still.
    »Sie meinen, ich hätte Leonie … Sie sind ja pervers! das ist doch einfach abartig. Abartig und ungeheuerlich! « Olivers Lippen bewegten sich kaum, während er sprach.
    Ostwald ließ die Handflächen auf seine fetten Schenkel klatschen, während er unbewegt erwiderte: »Wie Recht Sie haben, Herr Eggert. Aber das bringt unser Beruf leider mit sich – die Beschäftigung mit dem Ungeheuerlichen.«
     

     
    Das Kind roch sauer. Obwohl sie die Milch weggewischt hatte, so gut es ging. Um ein Haar hätte sie das leise Gurgeln überhört, mit dem die Nahrung aus dem halb geöffneten Mund wieder herauslief. Kein Husten, kein Würgen, einfach ein Schwall weißer Flüssigkeit. Dann ein zweiter und schließlich noch ein dünnes Rinnsal aus dem Mundwinkel über die Halsfalten auf die Matratze. Es schien viel mehr zu sein als das, was in der Flasche gewesen war und jetzt den säuerlichen Geruch nach zersetzter Milch verbreitete.
    Wenigstens das Schreien hatte aufgehört. Obwohl es eigentlich eher ein Wimmern war, hoch und klagend, das abbrach und immer dann wieder einsetzte, wenn sie gerade Hoffnung auf Ruhe schöpfte. Ein neues Tabletteneckchen hatte dem Auf und Ab ein Ende gemacht, das an ihren Nerven zerrte, sich in ihren Kopf bohrte und dort auf längst vergangene Qualen stieß. Auf ihre eigenen Schreie und einen anderen, quäkenden, hohen Ton, den sie in ihrem Leben nicht mehr vergessen würde.
    Die über den Augen geschlossenen Lider des Kindes waren geschwollen und wirkten entzündet mit dem roten Rand an den Wimpern und den feinen Äderchen, die immer deutlicher durch die Haut schimmerten.
    Sie fuhr mit der Fingerspitze über die Augenbraue. Ein feiner Streifen aus hellem Haar, ganz weich noch, nicht hart und borstig wie bei Erwachsenen. Die Berührung war leicht und liebevoll. Trotzdem zuckte das Gesicht und die Lider begannen zu flattern. Das kam, weil ihre Hände so kalt waren. Sie musste schlafen. Schlafen und etwas gegen den Brechreiz tun, der dünnen, wässrigen Speichel in ihren Mund spülte, sobald sie sich über das Kind beugte und ihr der saure Geruch in die Nase stieg.
    Mehr als die Töne wand sich dieser Geruch in ihr Gehirn. Durch die Nasenlöcher, an den Härchen und Schleimhäuten vorbei durch die Öffnungen und Kanäle des Schädels direkt dorthin, wo sie die Bilder verbarg, die sich nicht ertragen ließen. Wie sie sich krümmte unter dem plötzlichen rasenden Schmerz. Wie sie erst auf die Knie fiel, bevor sie zur Seite kippte. Bilder von ihren Händen, wie sie sich um Stuhlbeine krallten, an die Bettpfosten klammerten, in die decken gruben, auf denen sie sich wälzte.
    Die Frau stöhnte auf und presste die Fäuste gegen die Stirn.
    Wenn sie die Fenster nicht öffnete, würde sie ersticken. Ein Blick auf das Kind sagte ihr, dass sie die Holzläden gefahrlos aus der Gaubenöffnung nehmen konnte. Es würde die nächste Zeit kein Geräusch machen, das laut genug war, um draußen gehört zu werden.
    Unten im Haus hätte sie die Polizisten wohl erst bemerkt, wenn sie auf dem Hof gestanden hätten. Aber von hier oben sah sie die Kette schon von weitem über die Heide kommen. Weit und flach genug war sie ja, von dem bisschen Birkengestrüpp und ein paar windschiefen Kiefern abgesehen. Dicht an dicht schoben sie sich langsam auf das Haus zu. In dunklem Drillichanzug, an den Füßen ihre schweren Einsatzstiefel, suchten sie, nur auf Armeslänge voneinander entfernt, Schritt um Schritt die Fläche ab. Hin und wieder tippten sie mit ihren langen weißen Stäben gegen ein Heidekrautbüschel oder bückten sich, um einen hellen Sandhuckel unter den Fingern zerrinnen zu lassen. Nicht mehr lange, und sie würden unten vor der Tür stehen.
    Bis dahin musste sie wissen, was sie tun sollte.
    Auf keinen Fall das Fenster öffnen. Die Läden konnten nicht wieder zurück in die Halterung. Vielleicht war die Bewegung nicht bemerkt worden, als sie sie abnahm. Soweit sie erkennen konnte, starrten alle Polizisten vor sich auf den Boden.
    Sie trat behutsam einen Schritt zurück in die Deckung des

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