Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hühnergötter

Titel: Hühnergötter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
Vom Netzwerk:
angebissene Bockwurst in seiner Hand bedenklich hin- und herschlingerte.
    »Aber …«, setzte einer von beiden an.
    »Nichts aber! das Kind hatte blaue Augen. Blaue! Von den anderen Unterschieden ganz zu schweigen! Und ihr schleppt die Leute hierher – ich fass es nicht!«
    »… das Hemd«, versuchte der andere zu retten, was nicht mehr zu retten war.
    »Das Hemd!«, schnaubte Ostwald. »Wir suchen kein Hemd, das zehntausendmal über die Ladentische gegangen ist, wir suchen ein Kind, verdammt noch mal!«
    Ein Senfspritzer flog von seiner Wurst auf eines der Uniformhemden. Wütend schmiss er sie auf den Pappteller zurück und griff nach der Zigarettenschachtel.
    dass er sich plötzlich umdrehte und in normaler Lautstärke sprach, kam nicht nur für Pieplow überraschend. Ostwald hob die Zigarettenhand, als wolle er die beiden Uniformierten berühren, ließ sie dann aber wieder sinken.
    »Nichts für ungut«, beschwichtigte er nun, »die Nerven. Hier liegen die Nerven blank – seit dreißig Stunden ist die Kleine weg, und wir haben immer noch keine vernünftige Spur.«
     

     
    Die Mutter hatte geweint. Marten wusste es, auch wenn sie tat, als müsste sie husten und niesen und sich die Nase putzen. Es hatte mit der Zeitung zu tun, die sie aus der Kaufhalle mitgebracht hatte. Sonst packte sie immer alles weg, was sie einkaufte. Die Milch in den Kühlschrank, Zucker und Mehl ins Fach über dem Herd, Tomaten, Gurken und Zwiebeln in den Korb auf dem Küchenschrank. Aber heute nicht, heute blieb alles im Netz. Sie stellte es neben das Tischbein und kümmerte sich gar nicht darum. Nur um die Zeitung mit den Bildern neben den großen Buchstaben. Und dann weinte sie. Leise und hinter ihren flachen Händen, damit er nichts merkte.
    Durch den Spalt der angelehnten Tür sah Marten es genau. Auch, dass sie ihre Daumen auf die Ohren presste, gerade so, als hätte sie etwas Schreckliches gehört.
    Marten kannte verschiedene Arten von Weinen.
    Es gab Tränen, um die musste man sich nicht kümmern. Zum Beispiel, wenn sich im Fernsehen zwei küssten und die Landschaft sehr schön war oder der Himmel über ihnen. Das war gut. Dazu gab es schöne Musik, und man wusste, dass alle glücklich waren.
    Und dann gab es Tränen, mit denen die Traurigkeit weniger wurde, wie weggespült. Und wenn sie zurückkam, die Traurigkeit, dann konnte man noch einmal weinen und sie wieder wegspülen. Als der Vater tot war, hatte er es so gemacht und die Mutter auch.
    Aber jetzt hatte sie Angst, das spürte er, und es musste mit der Zeitung zu tun haben.
    Weil er so leise ging und weil ihre Daumen die Ohren versperrten, konnte sie nicht hören, wie er hinter sie trat, um sie so weit mit seinen Armen zu umschlingen, dass sich seine Hände vor ihrer Brust berührten. Sie zuckte zusammen, als sei er es, vor dem sie sich fürchtete.
    Und dann sah er das Bild. Eine böse Fratze mit schmalen Augen. Mit Zähnen, so gefährlich wie von einem bissigen Tier. Daneben stand sein Name, das konnte er lesen. Für die kleinen Buchstaben darunter brauchte er viel Zeit, wenn er sie verstehen wollte. Aber bevor er dazu kam, nahm die Mutter die Zeitung und zerriss sie. Immer kleiner, bis nur noch Schnipsel übrig waren, die er nie im Leben wieder zusammensetzen konnte.
    Er ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen. Ganz schlapp fühlte er sich, schwach und gleichzeitig unruhig. Das kam, weil alles immer mehr Durcheinandergeriet.
    die Fotografen.
    Die Männer heute Morgen am Hafen.
    Die großen Autos.
    Die beiden Polizisten am Gartentor.
    Seit dem Mittag standen sie dort und drängten die Leute weg, wenn sie zu dicht an den Zaun kamen. Trotzdem lag schrecklich viel Müll in den Beeten. Einfach so zwischen die Blumen geschmissen. Steine hatten einigen Dahlien die Blüten zerquetscht.
    Aufräumen, hatte Marten gesagt, wir müssen das aufräumen.
    Nicht jetzt, Marten. Bleib im Haus. Wir machen das sauber, wenn die Polizei Leonie gefunden hat.
    Das kann ja lange dauern, dachte er. Vielleicht machen wir unseren Garten nie mehr sauber. Nicht immer, wenn die Polizei etwas sucht, findet sie es auch. Wie die Mutter vom Himmelfahrtskind. Die haben sie auch gesucht und gesucht, aber nie gefunden. Da war es so ähnlich gewesen wie jetzt. Eine Menge Polizisten, die ihn immer und immer wieder alles Mögliche fragten, obwohl er nichts wusste. Gar nichts. Nur, dass am Strand ein Kind in Handtüchern gelegen hatte und dass außer ihm nur noch der Turner dort gewesen war. Aber der hatte in

Weitere Kostenlose Bücher