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Hühnergötter

Titel: Hühnergötter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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geht, wird nicht lange gefackelt und rein in die Häuser. Grund genug haben wir doch!«
    »Na ja …«
    Weiter kam Pieplow nicht. Es hätte ihn auch gewundert, wenn Kästner ihm nicht ins Wort gefallen wäre.
    »Ich sag dir eins …« Kästners Zeigefinger hieb zu seiner überflüssigen Ankündigung in Pieplows Richtung. »Wie viele Häuser haben wir auf der Insel?«
    »Keine Ahnung. Vierhundert? Vielleicht fünfhundert ?«
    »Höchstens! Aber nehmen wir ruhig mal fünfhundert. Für die kleinen zwei Mann eine Stunde. Das wär schon reichlich. Für die größeren mehr Leute und die doppelte Zeit. Das macht Pi mal Daumen?«
    Pieplow schenkte sich eine Antwort.
    »Zwei Hundertschaften, zwei Tage, höchstens – und wir wären mit allem durch!« Kästner sah Pieplow auffordernd an.
    » Klingt einleuchtend«, sagte er vage. Nicht nur um Kästner zufrieden zu stellen. Auch weil er selbst liebend gern gegen alle möglichen Gesetze verstoßen hätte, wenn es half, Leonie zu finden.
    Dass er beinahe mit einer Frau zusammenstieß, riss ihn aus seinen Gedanken.
    Rechts und links aus dem rucksackartigen Teil vor ihrem Bauch ragten Kinderarme hervor, kurz, mollig, mit diesen dicken Speckfalten dort, wo einmal ein Handgelenk sein würde. Die kurzen Finger weit auseinandergestreckt wie in großem Schrecken. Sonst wirkte das Kind mit der rosa Mütze nicht verängstigt, nur erstaunt. Es sah mit ernsten blauen Augen über den Rand des Tragegestells, das die Frau mit beiden Armen fest umschlang wie jemand, der sein Kind vor drohender Gefahr schützen musste.
    Sie hatte geweint. Das schloss Pieplow aus der verschmierten Wimperntusche und den ungleichmäßigen roten Flecken, die trotz der Sommerbräune auf Stirn und Wangen sichtbar waren. Ihr Haar hatte sich aus dem geflochtenen blonden Zopf im Nacken gelöst und kringelte sich rechts und links des Halses. Hinter ihr lief ein Mann mit großen Schritten durch die Rathauszufahrt. Pieplow hatte ihn irgendwo schon einmal gesehen. Als er die Frau eingeholt hatte, legte er einen Arm um ihre Schultern und küsste erst sie und dann das Kind auf die Stirn. Sie holte tief Luft, etwas zwischen Seufzen und Schluchzen, und lehnte sich gegen den Mann. Bevor er beide Arme um sie schlang, stopfte er ein rosa-rot-blau geringeltes Hemdchen in die Tasche seiner Shorts.
    Leonies Hemd, schoss es Pieplow durch den Kopf. Dasselbe wie auf dem Fahndungsfoto. Aber das Kind konnte nicht Leonie sein. Es hatte blaue Augen. Es war fast doppelt so groß, und auch alles andere an ihm sah vollkommen anders aus.
    Erstaunt stellte Pieplow fest, dass es ihm sehr wohl gelingen konnte, ein Baby zu identifizieren.
    Er klemmte sich den Farbkasten und den Stapel Fingerabdruckkarten unter den Arm und versuchte, die Farbe von seinen Fingerkuppen zu rubbeln. Er hätte Kästners Rat befolgen sollen. Mit Gummihandschuhen hätte er ruhig aus Versehen auf das Farbkissen fassen können, ohne jetzt wie ein Anfänger mit geschwärzten Fingern dazustehen. Aber immerhin hatte er alle zusammengetragen. Alle Nachbarn von Fine und Marie. Alle ihre Gäste, aus Dessau, aus Quedlinburg und Torgau hatten sich auf den Karten mit den zehn Feldern verewigt.
    Die Hamburgerinnen im Haus auf der Wiese hatten im Garten gesessen.
    »Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen«, hatte die Ältere mit dem vielen Grau im blonden Haar gesagt, »dass ich noch mal meine Fingerabdrücke hergeben muss. Und ausgerechnet auf Hiddensee. «
    die anderen hatten mit besorgten Gesichtern genickt.
    »Wir haben die Kleine doch noch kurz vorher gesehen. Da lag sie friedlich in ihrem Wagen und schlief und …«
    »Wir haben uns noch darüber aufgeregt, dass die Mutter sich abschuftet, während der Herr Gemahl den Künstler gibt«, war die Jüngste ihrer Freundin ins Wort gefallen.
    Die Frauen waren Pieplow sympathisch. Nicht nur wegen des frischen, heißen Kaffees, den sie ihm hinstellten. Vor allem, weil sie aus ihrer Abneigung gegen Oliver Eggert so gar keinen Hehl gemacht hatten.
    »Be-fra-gen! Ihr sollt die Leute befragen und nicht in Angst und Schrecken versetzen!«
    Pieplow hörte Ostwald brüllen, bevor er noch den ersten Fuß auf die Treppe zum Besprechungsraum gesetzt hatte. »Wenn ihr wie die Horden des Herodes durch die Gegend trampelt, ist das kontraproduktiv! Habt ihr das verstanden?«
    Kontraproduktiv bestimmt, dachte Pieplow, aber ob jeder was mit den Horden des Herodes anfangen kann? Er sah, wie Ostwald vor zwei Uniformierten wild gestikulierte und die

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