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Hühnergötter

Titel: Hühnergötter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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den Himmel geguckt und sonst nirgendwohin.
    Als das Telefon klingelte, wäre er vor Schreck beinahe vom Stuhl gefallen und musste seine Gedanken vom Meer, vom Strand und vom Turner erst zurückholen, bevor er den Hörer aufhob.
    Sag, wo sie ist, du bescheuertes Schwein, oder es passiert was.
    Die Stimme klang böse. So böse und drohend, dass er den Hörer fortwarf, als hätte er sich verbrannt.
     

     
    Eis türmte sich himmelhoch auf. Es war totenstill und so kalt, dass der Körper erstarrte, ohne zu frieren. Weißes Licht erfüllte die seelenlose Kathedrale, in deren Tiefe eine dunkle Gestalt das einzig Bewegte war. Marie erkannte ihren Mann, obwohl er von ihr fortging, ohne sich umzuwenden. Mit weit ausholendem Schritt, ohne Hast in den fließenden Bewegungen näherte er sich dem Licht, das für Sekunden den Raum in gleißende Helligkeit tauchte.
    Oliver!, rief sie und, weil er sie nicht zu hören schien, noch einmal: Oliver !
    Aufhalten ließ er sich nicht, aber mit dem Gleichmut, den sie so gut an ihm kannte, wandte er sich halb zu ihr um. Und da erst sah sie, dass er das nackte Kind vor sich hertrug: Das Köpfchen hing schlaff über den Arm hinaus, der es hielt. Obwohl in dem bleichen kleinen Körper kein Leben mehr sein konnte, war es Marie, als treffe sie ein Blick aus Leonies weit aufgerissenen Augen.
    »Berühmt, Marie, ich werde berühmt.« Er lächelte spöttisch. »Und du wirst es nicht verhindern.«
    Maries Schrei hallte von den Eiswänden wider.
    Sie zitterte, als sie erwachte. Ihr Gesicht war nass von Tränen und dem Angstschweiß, der ihr aus allen Poren drang.
    Es war stockdunkel. Längst war der letzte Ton der Spieluhr verklungen, über deren Melodie sie eingeschlafen sein musste. Als die Dämmerung kam, hatte sie sich in Leonies Zimmer verkrochen, von der Straße waren noch Rufe und Lachen zu ihr heraufgedrungen. Ein Ferientag ging zu Ende. Benommen erhob sie sich aus dem Sessel neben dem Kinderbett. Sie fühlte sich fiebrig, als sei sie aus klirrender Kälte gerade erst in das stickige Zimmer getreten. Ihre Hände waren kalt und so starr, dass sie Mühe hatte, den Fensterriegel aus seiner Halterung zu lösen. Sie hob den Kopf, um sich das heiße Gesicht kühlen zu lassen.
    Es musste die dunkelste Stunde der Nacht sein. Ein Spatz ziepte aus dem Holunderbusch neben der Kinderschaukel. Nur einmal, als habe er sich geirrt und schweige jetzt verlegen still. Der Leuchtturm verbarg seine rotierenden, hellen Lampen hinter Baumkronen und wehte nur blasse Lichtschwaden wie Nebelfetzen durch die Stille. Ein Windhauch ließ das Laub der Erlen in der Wiesensenke rascheln.
    Ganz unbewegt, mit kraftlos herabhängenden Armen, stand Marie am offenen Fenster. Stumm, ohne das leiseste Schluchzen, liefen Tränen über ihr Gesicht.
    Aus den Atelierfenstern fielen helle Rechtecke in das Gras vor dem Haus. In einem tauchte Olivers Schatten auf und verschwand wieder. Ohne Hast. Lautlos.
    Ganz anders als vor ein paar Stunden.
    Marie hatte die beiden Polizisten bis an die Haustür begleitet.
    »Kommen Sie zurecht?«, hatte der Rothaarige gefragt.
    »Oder brauchen Sie Hilfe? Wir können uns darum kümmern«, hatte der andere ergänzt, als sei ihr stummes Nicken keine ausreichende Antwort gewesen.
    »Nein, danke. Es geht schon. Die Nachbarn …«, stammelte sie, »… der Arzt … gleich nebenan …« Sie zwang sich zu einem traurigen Lächeln, das ihre Hilflosigkeit nicht verbergen konnte.
    Die Männer musterten sie besorgt, ehe sie sich durch die halb geöffnete Tür schoben, hinter der sich Marie vor dem Gewimmel aus Mikrofonen und Objektiven verbarg.
    »Berühmt! Wenn ich so was schon höre!«, tobte Oliver, als sie ins Zimmer zurückkam. Wütend stampfte er hinter dem Sessel auf und ab, in dem eben noch Ostwald gesessen hatte.
    »Was bildet dieser Kerl sich ein? Kann mir das jemand erklären? Ich habe einen Namen, und zwar einen guten! Ich habe dieses Haus zu einer Adresse gemacht. Berlin, München, Dresden – die Leute kommen von überall, um meine Arbeiten zu sehen, und da entblödet dieser Mensch sich nicht, etwas von berühmt zu faseln. Als wenn ich es nötig hätte, mich ins Gerede zu bringen!« Seine Schritte hackten über die Holzdielen.
    Er ballte die Hände zu Fäusten und stopfte sie in die Hosentaschen, um sie mit zornigem Ruck gleich wieder herauszureißen.
    »Darum geht es doch gar nicht«, murmelte Marie.
    »Ach nein? Und worum dann, wenn ich fragen darf? du hast doch gehört, was er gesagt hat:

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