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Hühnergötter

Titel: Hühnergötter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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kleinen Schlenkern zu lernen.
    Sie bezahlte und fand, dass ihre Finger ganz ruhig waren, obwohl sich mit Stichen hinter der Stirn Kopfschmerzen ankündigten. Ein Zucken am linken Augenlid machte sie so nervös, dass sie schwitzte. Sie brauchte Ruhe. Ein paar Stunden Schlaf, dann verging auch die Übelkeit wieder. Sie merkte, wie ihr der Hals eng wurde, als müsse sie weinen.
    Keine Fehler machen. Jeden Schritt bedenken. Nicht auffallen. Wie Beschwörungsformeln kreiste es in ihrem Kopf.
    Sie fasste neben sich auf die Sitzfläche. Babynahrung, ein kleines Paket Windeln, zwei Schnuller. Sogar daran hatte sie gedacht. Niemand schenkte einer Frau in der Babyabteilung des Supermarktes Beachtung. Wenigstens in Gingst nicht.
    Zehn vor elf. Wenn sie schnell genug fuhr, konnte sie um zwölf wieder auf der Insel sein. Hoffentlich schlief das Kind noch, dachte sie und strich sich über die schmerzende Stirn. Wenn nur die gleißenden Blitze nicht wären, die der Himmel durch das Blätterdach über der Straße jagte. Ihre Augen schmerzten wie von Pfeilen getroffen, ihr rasendes Herz drohte den Brustkorb zu sprengen.
    Sie wollte weinen und nach Hilfe schreien, als der Wagen zu schleudern begann. Es blieb dafür keine Zeit mehr.
     

     
    »Sandra Marwede ist seit vier Stunden tot.« Ostwald sprach ruhig, so langsam, als überprüfe er seine Gedanken während des Redens noch einmal. Er rauchte nicht, er fluchte nicht, und der Blick, mit dem er die Beamten rund um den großen Tisch ansah, wirkte fast abwesend. Seine Anspannung schien fast sichtbar im Raum zu hängen wie vor kurzem noch der Qualm seiner Zigaretten.
    Pieplow rieb sich mit den Fingerspitzen die Stirn. Nicht nur, dass zwei Tabletten nichts gegen die Kopfschmerzen ausgerichtet hatten und die Augen immer noch brannten. Jetzt wollte sich auch sein Pulsschlag nicht mehr beruhigen, und in seinen Ohren brummte es wie von schweren Motoren, weit entfernt zwar, aber doch bedrohlich.
    Seit das Bild vor ihm lag, wusste er, dass er nachdenken musste, doch er brachte nichts von dem, was ihm einfiel, in die richtige Ordnung. Sie war es, daran bestand kein Zweifel. Auf dem Führerscheinbild trug sie die Haare noch länger. Bis zum Kinn und für das Foto links hinter das Ohr geschoben. Sogar das spöttische Lächeln ließ sich ahnen, das ihm damals so reizvoll erschienen war.
    »Sie hat die Insel heute Morgen mit der ersten Fähre ab Kloster verlassen. Ankunft um zehn nach acht in Schaprode, wo sie kontrolliert und registriert wurde«, fuhr Ostwald fort. »Den Kollegen ist nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Ob sie Gepäck mit sich führte, wusste niemand mehr genau. Sie muss ihr Auto vom Dauerparkplatz in Schaprode geholt haben, der Parkschein fand sich im Wrack ihres Fahrzeugs. Am frühen Vormittag war sie dann bei zwei verschiedenen Ärzten und hat sich bei beiden ein Rezept für dasselbe Medikament ausstellen lassen. Nur eines davon wurde eingelöst, das andere war noch in ihrer Handtasche. Außerdem hat sie in Gingst Babynahrung, Windeln und Schnuller gekauft. Der Kassenzettel wurde in ihrem Portemonnaie gefunden.«
    Niemand rührte sich, als Ostwald ein paar Sekunden mit konzentriert zusammengezogenen Brauen auf den Zettel vor sich starrte. Dann unterbrach jemand rechts von Pieplow die Stille.
    »Was waren das für Rezepte? Was hatte sie, dass sie gleich zu zwei Ärzten gegangen ist?«
    Ostwald hob den Blick. »Schlafstörungen. Angst. Irgendwelche Psychogeschichten. Genaueres konnten die Ärzte nicht sagen. Sie wollte Diazepam, und das hat sie auch bekommen, von beiden.«
    Pieplow musterte das Bild, das Ostwald an die Wand projizierte. Sandra. Bestimmt hatte er den Namen gekannt. Nicht, dass sie Marwede hieß, so weit waren sie damals nicht gekommen. Aber aus Oebisfelde, das wusste Pieplow plötzlich wieder, noch bevor er die Zeilen unter dem Bild las.
    »Aus Oebisfelde? Und wieso arbeitest du dann bei VW?«
    »Wieso nicht? Ist doch ein Katzensprung bis Wolfsburg. Und wenn die Grenze nur einen kleinen Schlenker gemacht hätte, wär’s sowieso VEB Volkswagen gewesen«, hatte sie lächelnd erwidert.
    An ihr Lachen erinnerte sich Pieplow beinahe genauso gut wie an die feuchten Haarsträhnen über der Stirn und die Schweißperlen in ihrem Ausschnitt.
    Er fuhr sich mit dem Zeigefinger zwischen Hemdkragen und Hals und fragte sich, ob es etwas geändert hätte, wenn er misstrauischer gewesen wäre. Wenn er sie vorgestern Abend genauer unter die Lupe genommen hätte. Wenn er

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