Huehnerhoelle
war und allein lebte.
»Wie viel Uhr war es, als Sie zu Hause ankamen?«, hakte Kevin Kuczmanik wieder nach.
»Na, wie spät wird es gewesen sein? Halb neun rum, schätze ich.«
»Und weiter?«, fuhr Hufeland ihn an. »Nun lassen Sie sich nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, Herr Osterkamp. Was dann? Blieben Sie zu Hause? Wenn nein, wo sind Sie hingegangen? Oder gefahren?«
»Zum Brooker Hof bin ich. Zu FuÃ. Zur Kneipe seines Onkels«, nickte Osterkamp zu Bruno Kock hinüber. »Unser beider Stammkneipe.«
»Sieh an, Ihrer beider«, karikierte Hufeland seinen geschwollenen Stil. »Und haben Sie dort den Herrn Kock angetroffen, in Ihrer beider Stammkneipe?«
»Welchen Kock meinen Sie, den alten oder Bruno?«
»Beide.« Hufeland sah Bruno dabei nicht an.
»Bruno war schon weg. Und der Wilhelm zum Glück auch. Das hab ich von Werner erfahren. War schon komisch, der Wilhelm ist eigentlich sonst nie im Brooker Hof gewesen. Jedenfalls sehr selten. In letzter Zeit aber häufiger. Leider.«
»Haben Sie eine Ahnung, warum?«, wollte Hufeland wissen.
»Hat mich nicht interessiert. Sobald er aufgetaucht ist, hab ich mein Bier getrunken und mich vom Acker gemacht.«
»Hm. Und Sie?«, wandte Hufeland sich an Bruno Kock. »Haben Sie sich nicht gefragt, warum Ihr Vater neuerdings Ihre Stammkneipe frequentierte?« Doch der blickte erwartungsgemäà ins Leere und schwieg mit zusammengepressten Lippen.
Eine unangenehme Pause trat ein, in der niemand etwas sagte.
»Wie viel Uhr war es eigentlich genau, als Sie die Kneipe betraten?«, brach Kevin das Schweigen und setzte eine durchaus dazu passende Buchhaltermiene auf.
»Schauen Sie als Erstes auf die Uhr, wenn Sie Ihre Stammkneipe betreten?«, gab Osterkamp zurück.
»Ich schaue aufs Handy«, antwortete Kevin.
»Ich nicht.«
»Ich auch nicht.« Das waren seit Minuten die ersten Worte von Bruno Kock.
Erst jetzt trank Hufeland seinen Kaffee; er war schwarz, bitter und lauwarm.
»Warâs das?«, fragte Osterkamp erleichtert, als Hufeland und Kevin sich von ihren Stühlen erhoben.
»Wer weià das schon?«, antwortete Hufeland. Und das war sein voller Ernst.
22
»Seltsam«, grummelte er beim Durchqueren des Foyers.
»Ja, das ganze Hotel vollkommen leer«, sagte Kevin. »So leer wie mein Magen«, fügte er seufzend hinzu.
»Ich meine das verstockte Verhalten von Bruno Kock. Ich wette, der blufft. Irgendetwas geht in dem Mann vor. Der brütet was aus. Ich schätze, dass uns das noch beschäftigen wird.«
»Beim Sohn eines Hühnermästers ist das ja auch erwartbar«, grinste Kevin frech.
»Was?«
»Na, dass er was ausbrütet.«
Als sie in die feuchte Novemberluft hinaustraten, zogen sich ihnen reflexartig die Nasenflügel zusammen.
Der Gestank war unerträglich.
»ScheiÃe!«, schimpfte Kevin Kuczmanik.
»Mist, mein Junge. Hühnermist. Wie Wagner gesagt hat.«
»Der Wind muss sich gedreht haben.«
»Bloà weg hier!«
Sie beeilten sich, zum Wagen zu kommen, rissen die Türen auf und warfen sich auf die Sitze, als seien sie mit letzter Kraft einer tödlichen Gefahr entronnen.
»Kennen Sie diesen vereisten New York-Film von Emmerich, ich komme jetzt nicht auf den Titel«, lachte Kevin Kuczmanik, während Hufeland den Motor anlieÃ.
»Ich kenne nur einen Emmerich«, betonte Hufeland. »Der spielte bei Borussia Dortmund und hatte eine sagenhafte linke Klebe.«
Kevin kniff die Brauen zusammen, Hufelands Emmerich sagte ihm nicht das Geringste. »Ich meine den Film, wo sich eine gigantische Flutwelle über New York ergieÃt und sich durch die StraÃenschluchten wälzt.« Er lachte. »Minutenlang steht diese Riesenwelle vor der National Library und droht das junge Mädchen und ihren Hund, der sich verklemmt hat oder was, unter sich zu begraben.«
»Und?«
»Sie schaffen es. Rein in die Biblio und Tür zu. Gerettet, die Monsterwelle bleibt drauÃen.«
»Da bin ich aber beruhigt«, sagte Hufeland und fuhr los. Die Klimaanlage lieà er diesmal wohlweislich ausgeschaltet.
Sie verlieÃen das Golfgelände und fuhren zurück zum Ortskern. Mitten durch die von allen Tieren verlassene Weidelandschaft. Vorbei an alten Gehöften in ihrem unprätentiösen warmroten Klinkergewand, das Hufeland schon immer gefallen hatte, und
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