Huehnerhoelle
der örtlichen Sparkasse, und sagte mit einer angesichts des Chaos auffälligen Seelenruhe: »Wollen wir dann?«
Irgendetwas schien Bruno Kock mit einem Mal von Grund auf zufriedenzustellen, sodass er kaum wiederzuerkennen war. Pikanterweise aber war das einzige Ereignis, das in der Zwischenzeit geschehen war, die Beerdigung seines verhassten Vaters am heutigen Tag. Die tiefe Befriedigung darüber musste das seelische Gleichgewicht des Juniors schlagartig wiederhergestellt haben.
Kevin musste an seinen eigenen Vater denken, der mit knapp fünfzig schon zehn Jahre arbeitslos war und keine Aussicht hatte, je wieder einen Job zu bekommen. Er war gelernter Bäcker, hatte aber wegen einer Mehlallergie den Beruf aufgeben müssen und danach jahrzehntelang als Bauhelfer gearbeitet. Bis die Knie den Geist aufgaben und eine Operation die nächste jagte. Sein Vater war heute ein aufgedunsener, von Alkohol und Tabletten abgewrackter Mann, der den Krebstod seiner Frau, Kevins Mutter, vor fünf Jahren nicht mehr verwunden hatte. Wenn er, was wahrscheinlich war, in nicht allzu ferner Zeit am Suff und an seinen Depressionen zugrunde ging, würde Kevin sich lange Zeit wie amputiert vorkommen, das wusste er schon jetzt.
Doch deshalb fühlte er sich Bruno Kock keineswegs moralisch überlegen. Denn im Unterschied zu diesem hatte er sich von seinem Vater (von Ausnahmen abgesehen) geliebt, geachtet und gefördert gefühlt, solang er zurückdenken konnte. Für seine Gefühle konnte schlieÃlich keiner etwas. Dafür, ob sie mit einem durchgingen, schon eher.
Sie gingen zuerst in das vom Deckenfluter erhellte Wohnzimmer zurück, wo Bruno Kock ihm den faustgroÃen Pflasterstein zeigte, der auch die Schrankwand noch getroffen hatte und davor liegen geblieben war.
Kevin setzte Fenster und Schrank auf die Schadensliste.
Nebenbei waren ihm schon in der Küche kleine gerahmte Fotos eines Kindes, eines Jungen, aufgefallen, der auf manchen Aufnahmen zwei, auf anderen bereits drei oder sogar vier Jahre alt sein mochte, deutlich älter jedenfalls als der kleine Maik, von dem ähnlich viele Bilder aufgestellt oder aufgehängt worden waren. Im Wohnzimmer setzte sich das fort.
»Haben Sie eigentlich zwei Kinder?«, fragte er Kock interessiert und wies mit dem Stift auf ein gerahmtes Foto des älteren Jungen, das im kühlen Licht der Standleuchte etwas gespensterhaft wirkte.
Kocks Gesicht verdüsterte sich. » Hatten wir«, sagte er leicht unwirsch. »Unser Jens ist gestorben. Vor zwei Jahren.«
»Das tut mir leid«, sagte Kevin erschrocken. »Unfall?«
Kock schüttelte den Kopf. »Genetische Sache.«
Kevin verstand und lieà es gut sein. Sollte Bruno Kock wirklich der Mörder seines Vaters sein, so war er mit Sicherheit durch den Tod seines Kindes schon vorher dafür gestraft worden.
Sie gingen hinüber ins verdunkelte Kinderzimmer. Kock schaltete das Deckenlicht ein, das ganze Zimmer war übersät mit den Splittern der eingeworfenen Fensterscheibe. Auch hier zeigte ihm Kock einen ganz ähnlichen grauen Pflasterstein, mit dem das Fenster eingeworfen worden war, er hatte makabererweise in Maiks Kinderbettchen seine Ruhe gefunden. Weiterer Schaden an Möbeln war hier nicht entstanden, doch Kevin setzte den durch tausend kleine Glassplitter verhunzten Teppich von sich aus mit auf die Schadensliste.
Er schaute sich noch einmal um, ehe sie den Raum verlieÃen. Im Kinderzimmer fehlten Bilder des älteren Kindes, das gestorben war. Hier war allein das Reich des kleinen Maik.
Aber der Geist des toten Bruders lebte auch in diesem Zimmer weiter. In Gestalt all seiner Plüschtiere nämlich, die in den Ecken und Regalen des Zimmers dahinvegetierten, seit der Junge gestorben war. Das wurde Kevin in diesem Moment schlagartig klar. Erst später hatten Jensâ Kuscheltiere Gesellschaft von Maiks Spielsachen bekommen. Das also war der Grund für die unglaubliche Ãberfülle an Kuscheltieren im Kinderzimmer.
Kock schaltete das Licht aus, und sie gingen zurück in die Küche.
51
Hufeland folgte Bruno Kock, der ihm geöffnet hatte, ins Haus und fand Silke Kock am Küchentisch sitzend, wie sie mit zitternden Händen ein randvolles Likörglas zur Knautschzone ihres Gesichts balancierte. Sie verlor unterwegs etwa die Hälfte, den Rest schlürften gierig ihre zum Entenschnabel geformten dünnen Lippen.
Kevin saà ihr
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