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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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das heißen?«
    Er schüttelte den Kopf und presste die Lippen aufeinander. Jetzt wird mir klar, was er gemeint hatte, aber damals war ich ratlos, verzweifelt. Ich dachte nur: Er will unser Kind nicht. Er glaubt, er kann unser Baby nicht lieben.
    Ich hatte damit gerechnet, dass er unsicher oder nervös reagieren würde, war darauf gefasst gewesen, dass er ebenso hin- und hergerissen wäre wie ich. Aber ich hatte gehofft, dass sich unter der Verwirrung, tief in seinem Inneren, eine große Liebe und ein Kinderwunsch verbargen. Sein kühler Rückzug, sein blasses Gesicht, das physische Zurückweichen waren, ich wusste es inzwischen, der Anfang vom Ende. Nur dass dieses Ende sich noch nicht in Sichtweite befand.
    »Linda und Erik sind glücklich«, sagte ich.
    »Glaubst du.«
    »Du nicht?«
    »Worum geht es hier? Willst du, was deine Schwester hat?«
    »Nein«, fauchte ich. »Natürlich nicht. Es geht hier nicht um die Frage, was ich will oder nicht will. Es geht um das, was ist . Ich bin schwanger!«
    »Und du wärst es nicht, wenn du die freie Wahl gehabt hättest?«
    »Das ist jetzt irrelevant.«
    Er verzog den Mund und nickte knapp. »Hab ich’s mir doch gedacht.«
    Plötzlich fühlte ich mich schuldig. Ich hatte es mir nicht genug gewünscht, wollte es trotzdem behalten und war nun dabei, Marcus von den Vorzügen zu überzeugen. So sollte es nicht laufen. Ich erinnerte mich, wie euphorisch Linda und Erik gewesen waren, als sie von Lindas Schwangerschaft erfuhren. Sie hatten weder Emily noch Trevor geplant, waren aber jedes Mal begeistert gewesen. Ich hatte gehofft, dass es bei uns ähnlich sein würde.
    Draußen dämmerte es, aber wir hatten die Lichter im Apartment noch nicht eingeschaltet und saßen im Dunkeln.
    »Isabel«, sagte er und kam näher.
    Instinktiv schlang ich mir die Arme um den Leib. Wie schnell man anfängt, für den kleinen Menschen da drinnen mitzudenken, wie früh man ihn zu schützen versucht. Ich wich zurück und setzte mich an den Küchentisch.
    »Ich glaube, ich habe dich sehr gut verstanden, Marcus«, sagte ich und starrte zu Boden. Er war schmutzig und musste dringend einmal gewischt werden. »Lass uns nicht weiterreden, sonst tut es uns am Ende leid.«
    »Es gibt so vieles, das du nicht verstehst!« Der Satz gefiel mir nicht, er klang wie ein Klischee. Aber ich hatte keine Lust, Marcus zu korrigieren.
    »Dann klär mich auf.« Ich hob den Kopf, aber er starrte weiter aus dem Fenster, suchte keinen Kontakt zu mir, wollte keine Nähe.
    »Ich kann mich an meine Eltern nicht erinnern«, sagte er leise. »Ich weiß nicht, wie es war, jemandes Kind zu sein.«
    Er sagte das nicht, um mir entgegenzukommen. Er zog eine Tür hinter sich zu. Ich spürte es und machte mir keine Mühe, einen der vielen Gedanken zu äußern, die mir im Kopf herumwirbelten. Nach einer Weile ging er zur Wand und knipste das Licht an. Ich blinzelte. Er schien noch etwas sagen zu wollen, aber dann griff er nach seiner Jacke, die über dem Küchenstuhl hing.
    »Ich mache einen Spaziergang. Ich brauche frische Luft«, erklärte er.
    Ich hob die Hände. »Bitte sehr«, sagte ich, obwohl sich in mir ein Abgrund der Verzweiflung auftat. Von allen Szenarien, die ich in Gedanken durchgespielt hatte, war dies das Schlimmste. Jeder Wutausbruch wäre besser gewesen, als verlassen zu werden.
    Marcus ging und kam erst spät zurück. Ich rief meine Schwester nicht an. Es gab so vieles, das ich ihr über Marcus nicht erzählen konnte; selbst ohne von Momenten wie diesem zu wissen, war Linda viel zu schnell dabei, Marcus zu verurteilen. Ich dachte kurz daran, mich bei Jack zu melden, aber das wäre einem Verrat gleichgekommen. Ich schaute eine Weile fern in der Hoffnung, Marcus würde bald zurückkommen. Aber erst weit nach Mitternacht, Stunden später, ich lag bereits im Bett, hörte ich seinen Schlüssel in der Tür, hörte ihn die Treppe heraufstampfen und leise ins Zimmer treten.
    »Isabel«, flüsterte er von der Schwelle aus.
    Ich antwortete nicht und stellte mich schlafend. Ich wollte nicht mehr reden und war erleichtert, als er wieder nach unten ging und den Fernseher einschaltete. Am nächsten Morgen stand ich besonders früh auf, ging zum Sport, noch bevor er aufgewacht war, und blieb im Studio, bis ich sicher sein konnte, dass er das Haus verlassen hatte.
    An dem Abend kam er mit einem riesigen Plüschteddy nach Hause. Er entschuldigte sich, und wir taten so, als wäre nichts passiert. Ich wollte so verzweifelt glauben, er

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