Huete dich vor deinem Naechsten
schrecklichen Möglichkeiten dümpelten am Rand meines Bewusstseins dahin, weil ich mich weigerte, sie zur Kenntnis zu nehmen.
Der Detective kritzelte etwas in sein Büchlein. »Hören Sie«, sagte ich und spürte, wie sich meine Brust zusammenschnürte. »Meinem Mann ist sicher etwas Schlimmes zugestoßen. Werden Sie uns helfen?«
»Mrs. Raine«, antwortete er sanft, »ich bin hier, um zu helfen. Aber bevor ich herausfinden kann, was mit Ihrem Mann passiert ist, muss ich so viel wie möglich über Ihre Situation erfahren.«
Ich nickte und beschloss, mich zurückzulehnen. Er wollte mir helfen, aber ich hob abwehrend die Hand. Ich mochte nicht von ihm berührt werden.
»Hat er Angehörige, die wir anrufen könnten, gibt es Orte oder Personen, die er aufgesucht haben könnte?«
Ich schüttelte den Kopf. »Marcus hat keine Familie mehr. Seine Eltern sind gestorben, als er noch klein war. Die Schwester seiner Mutter hat ihn großgezogen, in der CSSR. 1989, nach dem Niedergang des Kommunismus, ist er so schnell er konnte in die USA ausgewandert. Er hatte ein Stipendium und zahlreiche Nebenjobs, um an der Columbia seinen Abschluss in Informatik zu machen.« Ich musste unwillkürlich lächeln. Ich war immer so stolz auf Marcus gewesen, auf seine Intelligenz, seine Stärke, seine Furchtlosigkeit, seine Unbeirrtheit, wenn es darum ging, seine Ziele zu erreichen. Selbst wenn uns all diese Eigenschaften als Paar nicht weitergeholfen hatten, war ich stolz auf sie.
»Hatte er irgendwelche Probleme mit Kollegen oder Kunden?«
»Nicht dass ich wüsste«, entgegnete ich und überlegte kurz. »Na ja … wegen dieses ersten Einbruchs … Der Täter besaß einen Schlüssel und kannte den Code für die Alarmanlage. Das war seltsam.«
»Ein unzufriedener Angestellter?«
Ich nickte. »Es gab eine Untersuchung. Ich glaube, sie läuft immer noch. Die Ermittlungen konzentrierten sich auf einen von Marcus ein paar Wochen zuvor entlassenen Programmierer. Er hatte uns bedroht. An seinen Namen kann ich mich nicht erinnern.«
»Ich werde mich darum kümmern.«
Ich starrte die Decke an, wollte stark und ruhig sein. Aber immer wieder tauchten schwarze Punkte vor meinen Augen auf, und ich fühlte diesen leichten Schwindel, der eine Ohnmacht ankündigt. Ich versuchte, bewusster zu atmen.
»Alles okay?«, hörte ich den Detective fragen.
Ich öffnete die Augen und sah die beiden Detectives - den scharf umrissenen und den verschwommenen dahinter. »Was glauben Sie?«
»Nein«, sagte er kopfschüttelnd. »Nichts ist okay. Tut mir leid.« Er setzte die Kappe auf den Stift und ließ die Hände in den Schoß sinken.
»Wenn diese Leute nicht vom FBI waren«, sagte ich schließlich, »was ist dann mit Rick Marino passiert? Wir waren zusammen dort, sie haben ihn mitgenommen. Ich dachte, er würde verhaftet.«
»Rick Marino ist tot«, sagte der Detective. Er hätte sich ein bisschen mehr Mühe geben können. Wahrscheinlich war er im Lauf seiner Karriere zu dem Entschluss gekommen, es sei besser, nicht drum herumzureden. Er redete weiter, während ich wie vor den Kopf geschlagen war. Ich versuchte, die Information zu verarbeiten und eine passende Antwort zu formulieren.
»Wir haben seine Leiche im Büro neben zwei weiteren toten Angestellten gefunden - Eileen Charlton und Ronald Falco.«
Ich versuchte, mir ihre Gesichter vorzustellen. Wann hatte ich sie zuletzt gesehen? Letztes Jahr hatten wir in unserem Apartment eine Betriebsfeier veranstaltet. Eileen war Spieledesignerin und Künstlerin. Eine zierliche Frau mit einer runden, intellektuell wirkenden Nickelbrille. Ronald, der Toningenieur, war schlaksig und schüchtern gewesen. Er hatte gestottert. Hatten sie Ehepartner gehabt? Kinder? Ich konnte mich nicht erinnern.
»Es tut mir leid«, fügte der Detective nachträglich hinzu. »Was geht hier vor?«, flüsterte ich. Meine Stimme klang erstickt.
»Wir werden es herausfinden«, antwortete er und steckte Stift und Notizbuch ein. Er meinte es tatsächlich ernst, trotzdem konnte ich fühlen, wie sich ein riesiges, schwarzes Loch in meinem Leben auftat. Ich würde hineinfallen, und ehrlich gesagt glaubte ich nicht, dass Detective Grady Crowe viel dagegen tun konnte. Er war der Sache nicht gewachsen. Ich auch nicht - aber das war mir noch nicht klar.
Als ich meiner Schwester erzählte, dass Marcus und ich heiraten würden, reagierte sie nicht wie erwartet. Zugegeben, sie kannte Marcus noch nicht lange. Unsere Beziehung war noch ganz frisch.
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