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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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Marcus so sentimental wie nie zuvor war. Dass die jungen Leute an der Bar sich zu uns umgedreht hatten und einer von ihnen höhnisch grinste. Dass das Licht für mich zu schummrig war, um den Ring richtig zu erkennen. Dass ein Laster vorbeidonnerte und die Flaschen im Regal hinter der Bar klirrten. Und ich beobachtete mich selbst: glücklich, überrascht und, ich muss es zugeben, erleichtert, dass mein Leben nicht ohne diesen Moment vorbeigehen würde. Von außen betrachtet wirkte es wahrscheinlich sehr romantisch. Aber genau dort spielt die Romantik sich ab, oder? Im Außen. Das Innenleben ist viel zu kompliziert. Man kann Romantik nicht fühlen . Man fühlt Liebe, und selbst die übertönt nicht alles; sie ist nur ein Ton in der Symphonie unserer Gefühle.
     
    »Ich verstehe nicht«, sagte meine Schwester. »Du kennst ihn kaum.«
    Marcus und ich hatten unsere Verlobung während eines Abendessens bei meiner Schwester bekanntgegeben, und Linda und Erik hatten angemessen reagiert. Sie hatten uns umarmt und mit Fragen zu unserer Zukunft bestürmt. Aber später, im Schlafzimmer, als Marcus, Erik und die Kinder eines von Marcus’ neuen Computerspielen ausprobierten, fand der echte Austausch zwischen mir und Linda statt. Ich hätte es natürlich ahnen können, schließlich hatte ich ihre verspannten Schultern gesehen, ihr sprödes Lächeln und den sorgenvollen Blick.
    »Wenn’s passt, dann passt es halt«, sagte ich achselzuckend. »Richtig?«
    In dem Augenblick fing sie zu weinen an, genaugenommen erkannte ich nur eine kleine Träne. Das reichte, um mich Enttäuschung und auch Angst fühlen zu lassen.
    »Ich dachte, du magst ihn«, sagte ich und setzte mich neben Linda aufs Bett.
    »Izzy«, meinte sie, sah an die Decke und dann in meine Augen, nahm meine Hand. »Er ist so … kühl. Er hat etwas Verschlossenes, er wirkt so unnahbar.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Du musst ihn einfach besser kennenlernen«, entgegnete ich. »Das ist alles. Der Unterschied ist kulturell bedingt.« Trotzdem spürte ich den harten Knoten in meinem Bauch.
    Linda nickte und versuchte zu lächeln. »Lasst euch Zeit mit der Heirat. Du solltest ihn besser kennenlernen, bevor du dich in etwas hineinstürzt.«
    Plötzlich wurde ich wütend. »Weißt du, was ich glaube?«
    »Hör auf«, sagte Linda und hob eine Hand.
    »Ich glaube, du willst gar nicht, dass ich mit jemandem glücklich werde.«
    »Isabel, hör auf!«
    Ich dämpfte meine Stimme zu einem Flüstern. Ich wollte nicht, dass die anderen uns hörten. »Ich glaube, du bist glücklicher, wenn ich unglücklich bin. Es geht dir besser, wenn ich allein bin und du diejenige bist, die alles hat - den tollen Job, die perfekte Familie!«
    »Das ist Unsinn«, sagte Linda barsch, »und du weißt es. Du weißt , dass ich recht habe. Deswegen bist du so wütend. Um Himmels willen, Isabel, er erinnert mich an unseren Vater.«
    Wenn ich meine Schwester nicht so sehr geliebt hätte, hätte ich sie geschlagen. Stattdessen stand ich auf und verließ den Raum.
    »Izzy«, rief sie mir nach. Ich hörte, dass es ihr leidtat, aber ich ignorierte sie. Ich sagte Marcus, mir sei schlecht, und wir gingen kurz darauf.
    Ich redete fast zwei Wochen lang nicht mehr mit meiner Schwester, und es fühlte sich an wie zwei Jahre. Irgendwann kam sie vorbei, angeblich um sich ein Paar Schuhe auszuleihen. Von da an war alles wieder wie immer. Keine Entschuldigung, keine Diskussion, keine Lösung, einfach nur verdrängen. Sechs Monate später heirateten Marcus und ich in einer kleinen Kirche in Riverdale, wo meine Mutter und mein Stiefvater leben. Danach feierten wir in meinem engsten Familien- und Freundeskreis. Marcus hatte niemanden eingeladen. Damals kam mir das weder verdächtig noch traurig vor. Ich glaube, ich machte mir gar keine Gedanken. Wir waren glücklich, mehr zählte für mich nicht.
     

FÜNF
    D etective Grady Crowe verließ das St. Vincent’s und trat auf die Seventh Avenue hinaus. Er zog den Reißverschluss seiner Wildlederjacke bis zum Kinn hoch, holte eine schwarze Wollmütze aus der Tasche und stülpte sie sich über das kurz geschorene Haar.
    Es war Hauptverkehrszeit. Selbst Downtown waren die Straßen überfüllt mit Leuten, die hin und her eilten und in der Kälte die Schultern hochzogen. Typische Villagebewohner, hipper und lockerer als alles, was der Detective zu dieser Tageszeit in Midtown zu sehen bekäme. Leder statt Kaschmir, Kuriertasche vor der Brust statt Aktentasche in der fest geschlossenen

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