Huete dich vor deinem Naechsten
Faust, Jeans statt Gabardine.
Der untere Teil von Manhattan hatte es dem Detective immer schon angetan. Seiner Meinung nach ließ sich das wahre New York hier viel besser entdecken als in Midtown - aber immer noch schlechter als in Brooklyn. In den Schaufenstern glitzerte die Weihnachtsdeko, auf der Avenue spielte das Hupkonzert im täglichen Stoßstange-an-Stoßstange-Verkehr. Die Luft roch nach Kaminfeuer. Den Geruch hatte er immer schon gemocht, besonders in der Stadt. Bei der Vorstellung, dass gerade jemand gemütlich und mit einer Tasse Tee am Kamin saß, wirkte der Stress weniger schlimm, die Stadt weniger unpersönlich.
Er schlängelte sich zwischen den im Stau stehenden Autos bis zur 12. Straße und dem unauffälligen Caprice durch, aus dessen Auspuff Rauch quoll, der im Licht der Bremsleuchten rot glühte. Die Kollegin des Detective telefonierte gerade, besser gesagt trug sie ein kleines Gerät an ihrem Ohr. Aus der Ferne sah sie wie eine Schizophreniepatientin aus, die leidenschaftliche Selbstgespräche führt. Er hatte sie darauf hingewiesen, woraufhin sie ihn einen Ludditen genannt hatte. Er hatte sich vorgenommen, das Wort nachzuschlagen.
Die Hitze im Wageninneren war erdrückend. Im Winter stellte seine Kollegin, Jez, die Heizung auf konstante siebenundzwanzig Grad ein. Sie war klein und zierlich und ertrug keine Kälte. Er beschwerte sich nicht. Er war dazu erzogen worden, sich den Wünschen einer Frau zu beugen. Du kannst dich widersetzen , hatte sein Vater zu ihm gesagt . Du kannst schimpfen. Wenn du ein richtiges Arschloch sein willst, kannst du dich durchsetzen. Aber zu welchem Preis, langfristig betrachtet? Das ist es nicht wert, Junge. Gib dich frühzeitig geschlagen, das erspart dir so manche Narbe. Der alte Mann sollte recht behalten. Und weil er mit drei Schwestern aufgewachsen war, hatte Grady früh die Gelegenheit zum Üben bekommen. Aber letztendlich war es seine Frau gewesen, die ihm die gründlichste Lektion erteilt hatte und als Gegenleistung mit seinem neuen Acura verschwunden war. Anscheinend reichten Lippenbekenntnisse nicht mehr aus - man musste die Kapitulation auch leben .
»Und … wie war’s?«
Crowe fädelte sich in den Verkehr ein und nahm einem Taxi die Vorfahrt, woraufhin der Fahrer wie wild hupte.
»Crowe?«
»Redest du mit mir? Ich dachte, du sprichst mit deinem communicator . Du weißt schon - Scotty, beamen Sie mich rauf!« Er versuchte, den Witz mit Elektronikgeräuschen zu garnieren, wirkte aber wenig komisch. Jez schenkte ihm dennoch ein Lächeln. Sie war so nett.
»Sehr lustig. Ja, ich rede mit dir. Was hast du erfahren?«
Im Kino sind alle Polizistinnen heiße Feger. Grady hatte die Erfahrung gemacht, dass es im wirklichen Leben anders aussah. Seine Kolleginnen waren eher grobschlächtig - sie fluchten, machten Hanteltraining und trugen Kurzhaarfrisuren. Jesamyn Breslow bildete eine Ausnahme, obwohl sie immer noch alles andere als ein heißer Feger war. Sie war ganz hübsch und verhältnismäßig weiblich. Aber trotz der Stupsnase und dem blonden Bob wirkte sie auf sehr reale Weise abgebrüht, nur dass sie es im Gegensatz zu den meisten Cops, egal ob männlich oder weiblich, nicht heraushängen ließ. Sie konnte Kung Fu. Wirklich.
Er wiederholte die Aussage des Opfers - der Ehemann sei nicht nach Hause gekommen, es habe einen anonymen Anruf gegeben, die Täter hätten sich als FBI-Agenten ausgegeben. Das passte zu den Fundstücken am Tatort - schwarze Westen mit weißer Aufschrift. Die Fälschung war schlampig. Jeder Zeuge, der einigermaßen bei Sinnen gewesen wäre, hätte das Manöver durchschaut.
»Sie glaubt, sie würde einige der Täter wiedererkennen, aber darüber hinaus weiß sie nicht, was passiert ist oder warum«, sagte er und griff nach dem Kaffee in der Becherhalterung. Er war so bitter und kalt wie seine Exfrau. Crowe trank ihn trotzdem.
»Sicher? Du weißt selbst, dass du bei schönen Frauen auf alles reinfällst.« Sie hatten Isabels Foto auf Marcus Raines Schreibtisch gesehen. Jez hatte sie sofort erkannt, ein Taschenbuch von Isabel steckte in ihrem Rucksack. Auf dem Umschlag stand »Isabel Connelly«, ihr Mädchenname. Nicht Isabel Raine, wie sie jetzt offiziell hieß.
»Ganz sicher«, sagte er. »Sie sah schlimm aus.«
Isabel Raine hatte ausgesehen wie eine Puppe, die jemand aus dem fahrenden Auto geworfen hatte - angeschlagen, kaputt, verlassen. Er hatte den Drang verspürt, sie zu säubern und in ein kleines Puppenbett zu
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