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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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Jahren hat sie endlich den Mann in ihm gesehen, der uns allen längst bekannt war. Sie würde sich um ihn kümmern, bis Margie käme, das wusste ich. Die gute Linda.
    »Tut mir leid, Fred«, sagte ich von der Schwelle aus, »ich wäre niemals zu euch gekommen, wenn ich geahnt hätte …« Ich beendete den Satz nicht.
    Fred schüttelte langsam den Kopf. »Ich bin froh, dass du gekommen bist. Ich wünschte, ich hätte dich beschützen können, Isabel. Ich vergesse immer wieder, wie alt ich bin.«
    Ich trat an sein Bett, beugte mich hinunter und küsste ihn auf die Stirn. Er deutete auf seinen Verband. »Vielleicht sollten wir die anderen überzeugen, ebenfalls einen zu tragen, dann sehen wir nicht mehr so albern aus.«
    Wir lächelten beide. Als Linda sich vorbeugte und ihn auf die Wange küsste, begann ihr Handy zu klingeln. Sie klappte es schnell auf.
    »Mom«, sagte sie. »Es ist alles in Ordnung.«
    Während Linda redete und Fred sie gespannt ansah, nutzte ich die Gelegenheit, um zu verschwinden. Ich schlich in den Flur und lief dann zu den Aufzügen. Einen verpasste ich knapp, die Türen schlossen sich vor meiner Nase. Ich schlug ein paarmal gegen den Knopf, aber die Digitalanzeige über den Türen verriet mir, dass der nächste Aufzug noch auf sich warten ließ. So entschied ich mich für die Treppe.
    »Izzy, wo willst du hin?«
    Ich drehte mich um und sah Trevor mit seiner verwaschenen Jeans, einem Retro-Rockershirt von den Ramones und Vans an den Füßen. Die Locken standen ihm wild vom Kopf ab; sein verwirrtes Lächeln verwandelte sich in eine traurige Grimasse.
    »Ich muss Luft schnappen«, log ich.
    Er schüttelte kaum merklich den Kopf, und in dem Moment sah er genauso aus wie seine Mutter. Ich merkte, wie er mich musterte - die Stola über meiner Schulter, die umgehängte Handtasche.
    »Du willst ihn finden, oder?«
    Ich spielte mit dem Gedanken, wieder zu lügen, verwarf ihn jedoch. Stattdessen nickte ich, legte mir einen Finger an die Lippen und ging rückwärts zur Tür.
    »Hast du einen Revolver?«
    »Nein«, sagte ich, erschreckt von dieser kindlichen Frage, die mir in diesem Moment beängstigend vernünftig erschien. Die New Yorker Kinder sind altkluger, als gut für sie ist. »Natürlich nicht.«
    Er zuckte die Achseln. »Vielleicht wirst du einen brauchen.«
    Er hatte nicht einmal unrecht. »Verrate keinem, dass du mich gesehen hast.«
    »Vielleicht doch. Vielleicht ist dein Plan nicht gut.« Er, einer der besten Spieler in seiner Schachmannschaft, konnte sehen, dass ich unter Zugzwang war und kurz vor einer falschen Entscheidung stand. Plötzlich erschien mir dieses Kind, das ich auf die Welt hatte kommen sehen, das ich gewiegt, getragen, gefüttert und dessen Windeln ich gewechselt hatte, viel weiser, viel kompetenter als ich.
    »Nicht.« Mehr brachte ich nicht heraus. »Erst in einer Viertelstunde.«
    »Izzy?«, hörte ich ihn sagen, als ich mich umdrehte, die Tür aufstieß und so schnell ich konnte die Treppe hinunterrannte. Ich kannte ihn. Er war ein ehrlicher Kerl, er wollte geordnete Verhältnisse, für ihn war die Welt immer noch schwarz-weiß, so wie für seine Mutter. Er würde mich verraten - aber er würde zögern, denn er war ein Junge, und wie alle Jungen hatte er eine Vorliebe für Geheimnisse. Mit ein bisschen Glück wäre ich über alle Berge, wenn sie anfingen, nach mir zu suchen.
     
    Vor hundert Jahren waren Marcus und ich in Paris gewesen. An unserem ersten Jahrestag hatte er mich an einem Donnerstag mit Flugtickets für den nächsten Tag überrascht. Wir rissen Witze darüber, wegen der kurzfristigen Abreise tausend Dollar an Vorbereitungskäufen gespart zu haben - was ich jedoch, als wir erst einmal dort waren, wieder wettmachte.
    »Er hat dir was geschenkt?«, kreischte meine Schwester, als ich sie anrief. Ihre Begeisterung war durchs Telefon zu spüren, und ich wusste, er war in ihrer Achtung gestiegen. Das erfüllte mich mit kindlicher Freude. »Das ist ja sooo romantisch! Oh, ich liebe Paris!«
    »Mann, du lässt mich alt aussehen«, stöhnte Erik, als wir zu viert am Telefon hingen.
    »Ja, ziemlich alt«, meinte Linda. Aber ich hörte förmlich ihr Lächeln. Sie und Erik hatten genug romantische Reisen gemacht und beneidenswerte Erlebnisse gehabt. Und nun hatten sie Kinder. Romantik , sagte sie immer, besteht für uns aus bestellter Pizza und einer Flasche Wein, wenn die Kinder im Bett sind.
    Wir wohnten in einem kleinen, gemütlichen Hotel in der ruhigen Rue

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