Huete dich vor deinem Naechsten
drei identisch gestylte Männer mit schwarzem Haar und schwarzen Klamotten von elektronischen Geräten und Computern umgeben. Sie schienen für den Lärm verantwortlich zu sein, wirkten aber so ernst und unbeteiligt wie Bestattungsunternehmer. Ich wollte etwas zu Marcus sagen und drehte mich um, aber er war verschwunden. Ich suchte die Menge ab und entdeckte seinen Hinterkopf. Er bewegte sich auf die Toiletten zu. Wahrscheinlich hatte er es mir gesagt, ich es aber bei dem Krach nicht gehört. Auf dem Stehtisch neben mir stand ein volles Glas mit einem bitteren, starken Drink, den er vermutlich dort platziert hatte. Als zwanzig Minuten verstrichen, mein Glas leer und mein Interesse an der Szenerie geschwunden waren, machte ich mich in Richtung der Toiletten auf.
Als ich ihn entdeckte, stand er dicht vor einer mageren und blassen Frau, deren Gesicht zu spitz und kantig war, um wirklich hübsch zu sein. Sie redete auf ihn ein, während er sich umschaute und offensichtlich sehr unwohl fühlte. Gerade als ich mich ihnen näherte, hob sie die Hand und berührte sein Gesicht. Ich sah, wie er ihre Hand packte und sanft beiseiteschob. Sie wirkte so verletzt, so verwirrt, dass sich mein Herz vor Mitleid zusammenzog.
Marcus wandte sich ab und rannte mich fast um.
»Was geht hier vor?«, fragte ich. Wenn man nicht vor der Bühne stand, war die Musik weniger laut, trotzdem musste ich brüllen.
»Das war irgendeine Verrückte, die sich einbildet, mich zu kennen. Ich konnte sie nicht vom Gegenteil überzeugen«, erklärte Marcus und nahm mich beim Arm. »Komm, wir gehen.«
»Kristof, bitte!«, schrie sie uns nach. »Bitte!«
Er drehte sich nicht noch einmal um, sondern schob mich eilig zur Tür. Ich spürte ein unwiderstehliches Verlangen, sie noch einmal zu sehen. Sie rief etwas, das ich nicht verstand.
»Du kennst sie nicht?«, fragte ich, als wir draußen standen. Ich fühlte mich seltsam aufgewühlt, und meine Hände zitterten.
Marcus, der schon weitergegangen war, kam zurück und nahm meine Hand. »Nein«, knurrte er, »natürlich nicht.«
»Wie sie dich berührt hat …«, sagte ich, und dann konnte ich nicht weitersprechen. Aus der Ferne hatten sie wie ein Liebespaar ausgesehen. Ihre Geste war so intim gewesen, ihr Blick so flehentlich. Ich blieb wie angewurzelt stehen und wollte nicht weitergehen. Starrte auf die Holztür und fragte mich, ob sie uns nachlaufen würde. Ich bemerkte, dass auch Marcus die Tür im Auge behielt.
»Isabel, die war vollkommen high«, sagte er und zupfte an meinem Ärmel, ohne mich loszulassen. Ich sträubte mich, zog ihn zurück. »Sie hat mich mit einem anderen Namen angesprochen. Du hast es selbst gehört. Ganz offensichtlich geht es ihr nicht gut, vielleicht hat sie irgendwelche Pillen eingeworfen.«
Unwillkürlich studierte ich sein Gesicht. Er wirkte ehrlich, fast ein bisschen amüsiert, und hob die Augenbrauen. Er erwiderte meinen Blick und schaute schließlich betreten zu Boden.
»Okay, du hast mich erwischt«, sagte er und hob beide Hände. »Ich habe eine Freundin in Paris. Die ganze Reise mit dir war bloß ein Vorwand, damit ich sie heute Abend hier treffen kann, während du nur ein paar Schritte daneben stehst.«
Dann schenkte er mir sein zauberhaftes Lächeln. Es begann zu nieseln. Als er mich an sich zog, waren alle Bedenken wie weggeblasen.
»Iz, sonst bist du doch auch nicht so eifersüchtig.«
Ich wurde sauer. Hier ging es nicht um Eifersucht. Es ging um eine Frau, deren Gesichtsausdruck ich intuitiv wiedererkannt hatte; Verlust, Verrat, ein Hauch von Zorn. Ich kannte dieses Gesicht; ich hatte es selbst zu den verschiedensten Gelegenheiten aufgesetzt. Aber ich sagte nichts. Ich ließ mich umarmen und zum Hotel zurückführen. Ich warf einen letzten, verstohlenen Blick über die Schulter und bildete mir kurz ein, sie einsam und traurig im Regen stehen zu sehen. Aber die dunkle Treppe war menschenleer, und auch die Musik, die uns angelockt hatte, war nicht mehr zu hören.
Ich fuhr zum Loft von Linda und Erik. Ich besaß einen Schlüssel und wusste, dass keiner zu Hause war. Vielleicht nicht gerade der klügste Einfall der Welt, aber es fiel mir kein besserer ein. Ich brauchte einen Ort, wo ich nachdenken, mir etwas Frisches anziehen und einen Computer benutzen konnte. Außerdem musste ich irgendwie an Geld kommen. Ich hatte an einem Geldautomaten Halt gemacht und den restlichen Betrag abgehoben. Nun verfügte ich über etwa fünfhundert Dollar in bar, das Geld von
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