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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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sprach meine Frage nicht aus: Verlor man mit der jugendlichen Selbstsicherheit und Arroganz auch noch etwas anderes? Die Leidenschaft, den Antrieb, den Wunsch, kreativ zu sein? Fiel dem Mutterdasein, das so viel Zeit, Energie und Liebe beanspruchte und einen nach einer durchgeschlafenen Nacht in Jubel ausbrechen ließ, das Künstlerdasein nicht zum Opfer?
    Nein. Natürlich machte Linda die Arbeit mehr Mühe. Ich bekam mit, dass sie um jede freie Minute kämpfen musste, um den Freiraum, den sie brauchte, um sehen zu können. Die Künstlerin-Mutter trug unzählige Konflikte mit sich herum, und Linda war sehr eloquent darin, ihren Ängsten Ausdruck zu verleihen.
    »Ich hätte nie gedacht, dass die Liebe zu ihnen so viel Platz in meinem Herzen einnehmen und ich kaum noch Raum für irgendwas anderes haben würde.« Aber letztendlich besaßen ihre Arbeiten mehr Tiefe und Schönheit als alles, was sie vor Trevor und Emily geschaffen hatte.
    Dieser Gedanke tröstete mich, als ich von meiner Schwangerschaft erfuhr. Meine Periode war ausgeblieben. Der Test aus der Drogerie bestätigte meine Befürchtung. Eine ganze Woche lang schwankte ich zwischen Freude und Entsetzen, zwischen Aufregung und Angst, bevor ich Marcus davon erzählte.
    Das Gesicht, das er zog, als er die Nachricht erfuhr, markierte den Tiefpunkt unserer Ehe. Ein kühles, angedeutetes Lächeln. Ob ich Witze mache? Als er merkte, dass ich es ernst meinte, zeigte er sich seltsam abwesend und zog sich von mir und aus der Situation zurück. Er verschränkte die Arme vor der Brust und trat ans Fenster.
    »Isabel, das ist keine gute Idee. Es ist nicht …« Er hielt inne und schüttelte amüsiert den Kopf.
    »Es geht hier nicht um eine Idee, Marcus, es geht um einen Menschen .«
    »Du verstehst mich nicht«, sagte er. In diesem Moment, mehr noch als in allen anderen, hätten bei mir die Alarmglocken schrillen müssen. Aber ich betrachtete alles durch den Schleier meiner Wut und Enttäuschung und war blind dafür.
    Als ich jetzt in der U-Bahn nach Uptown durchgerüttelt wurde, begriff ich, dass er es mir damals hatte sagen, es beichten wollen. Deswegen hatte er mich so flehentlich angesehen.
    »Hör mal …«, hatte er gesagt. Ich hob abwehrend eine Hand, weil ich Angst vor dem hatte, was da kommen würde.
    »Nicht. Sag jetzt bitte nichts, was du nicht bereuen würdest.«
    Ich dachte, er wolle mir eine Abtreibung vorschlagen. Und ich hätte es nicht ertragen, wenn diese Worte gefallen wären, sie hätten weitergelebt und unsere Ehe von innen zerfressen. Wie Ratten auf dem Dachboden. Man versucht, sie zu töten, aber sie sind nicht auszurotten, scharren und kratzen und schlüpfen durch die kleinsten Löcher. Vielleicht hatte er etwas ganz anderes sagen wollen, mir gestehen wollen, was ich nun - auf die harte Tour - selbst herausfinden musste.
    Ich gehöre zu den Menschen, die sich von den Erschütterungen eines Fahrzeugs beruhigen lassen. Es funktionierte selbst in der verdreckten U-Bahn mit ihren vielfältigen Gefahren. Meine Erinnerungen und die Gegenwart vermischten sich in einer Art Wachtraum. Ich schlief nicht, dafür war ich viel zu aufgekratzt. Ich döste vielmehr vor mich hin, spürte das Rumpeln der Waggons und sah die Stationen kommen und gehen, und gleichzeitig stand ich wieder in unserer Küche. Ich roch die Tomatensauce, die auf dem Herd vor sich hinköchelte, hörte die Musik, die im Wohnzimmer lief, spürte die kalte Granitoberfläche des Küchentresens unter meinen Händen.
    »Willst du, dass ich dich hasse?«, fragte ich.
    Er warf mir einen flüchtigen Blick zu und wirkte erschreckt, als hätte ich ihn geschlagen. Was ich auch tun wollte. Ich wollte ihn boxen und anbrüllen. Ich hätte es getan, wäre mir nicht klar gewesen, dass er ruhig dastehen und meine Schläge kommentarlos einstecken würde.
    »Was bedeutet es, deiner Meinung nach, ein Kind zu haben?«, fragte er. Er klang nachdenklich, so als erwartete er eigentlich keine Antwort. Ich antwortete trotzdem.
    »Es bedeutet, dass man nicht länger nur für sich selbst lebt«, sagte ich. »Ich glaube, es bedeutet, eine ganz andere Form von Liebe kennenzulernen.«
    Das klang banal und defensiv, selbst für mich. Er betrachtete mich lange.
    »Und wenn es nichts davon bedeutet?« Sein Blick ließ mich erbeben. »Was dann?«
    »Wovon redest du?«, fragte ich.
    »Du weißt ebenso gut wie ich, dass nicht alle Eltern ihre Kinder lieben.«
    Mir wurde übel, und ein stechender Kopfschmerz setzte ein. »Was soll

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