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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. A. Weatherly
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derselben Sekunde, als sie sich von mir getrennt zu haben schien, hatte ich sie weggestoßen und eine Mauer um sie errichtet. Kein Wunder, dass sie unruhig geworden war.
    »Gib mir eine Minute«, sagte ich zu Seb.
    Ich schloss die Augen und versenkte mich in mein Inneres. Zaghaft suchte ich nach meinem Engel. Und da war sie, umgeben von hellem Licht, das strahlte und funkelte, wie ein Kristall in der Sonne. Mein eigenes Gesicht, das mich anschaute; Flügel, die schimmerten. Wir sahen uns an. Die einzige Bewegung kam von ihren Haaren, die sich sanft kräuselten, wie in einer leichten Brise.
    Es tut mir leid, dachte ich und streckte ihr im Geist die Hand hin. Kannst du mir sagen, was los ist?
    Wir berührten uns und meine Muskeln entkrampften sich, als das Gefühl, eins mit ihr zu sein, mich durchströmte – unsere Gedanken flossen ineinander, verbanden sich wieder. Vergebung, Verständnis. Aber sie hatte so verzweifelt versucht, mich zum Zuhören zu bewegen und war so wahnsinnig frustriert gewesen. Die dunkle Macht des Energiestroms, den ich gespürt hatte, hatte sie in helle Aufregung versetzt. Und jetzt hatte sie das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie wusste nicht, was es war. Sie hatte danach gesucht und nichts gefunden – aber es war eine permanente Beunruhigung, die sie nicht abschütteln konnte.
    Stirnrunzelnd durchforschte ich noch einmal jeden Winkel meines Geistes. Doch da war nichts, was nicht da sein sollte -nichts, gar nichts. Ich glaube wirklich, dass alles in Ordnung ist, sagte ich zu ihr.
    Sie gab keine Antwort. Ich konnte spüren, dass sie nicht überzeugt war. Fürs Erste ließ ich sie in Ruhe und erläuterte Seb, was passiert war. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, schloss ich. »Sie scheint sich total sicher zu sein, aber ich kann es einfach nicht fühlen.«
    Sebs Miene wurde nachdenklich. »Nein, ich weiß es auch nicht.« Er schlug die Beine unter und hielt mir die Hände hin. »Vielleicht kann ich etwas spüren.«
    Ich zögerte, sah auf seine Hände. »Es wird alles streng brüderlich bleiben«, versicherte er mir. Seine Augen neckten mich, aber sie waren auch besorgt. Ich wusste, wie gern er mir helfen wollte.
    »In Ordnung«, willigte ich ein.
    Ich schob mein Kissen dichter zu ihm heran und legte meine Hände in seine. Wieder sprang die Energie zwischen uns über. Gleiches, das auf Gleiches traf. Seine Hände waren warm und fest, und ihre Berührung so beruhigend, als würde schon allein dadurch alles besser. Ich schloss die Augen und spürte deutlich, dass unsere Auren sich wieder vermischten, und wünschte mir, ich könnte das alles ausblenden. Insbesondere, wie gut es sich anfühlte – wie richtig. Fast schneller, als er mir gekommen war, hatte ich den Gedanken auch schon wieder verdrängt und hasste mich dafür, dass er mir überhaupt gekommen war.
    Sebs Griff verstärkte sich. Ich bemerkte seine Konzentration und versuchte, mich einfach treiben zu lassen und an nichts Bestimmtes zu denken. Immer wieder zogen Fetzen seiner Gedanken durch meinen Kopf, wie zum Beispiel, dass er kürzlich das Rauchen aufgegeben hatte – sein unbewusstes Verlangen nach einer Zigarette war unverkennbar. Manches von dem, was ich aufschnappte, brachte mich zum Schmunzeln. Wie die Geschichten, die er sich ausdachte, wenn er nach seiner Vergangenheit gefragt wurde. Ich glaubte nicht, dass er diese Frage auch nur ein einziges Mal in seinem Leben wahrheitsgemäß beantwortet hatte. Eine Mutter, die Opernsängerin war und ihr Klavier überall mit hin nahm?
    Und doch war er mir gegenüber ohne zu zögern ehrlich gewesen.
    Schließlich ließ Seb mich los und ich machte die Augen wieder auf. Wir saßen immer noch dicht beieinander. Unsere Gesichter waren nur ein paar Handbreit voneinander entfernt und ich sah goldene Flecken im Grün seiner Augen. Hastig rutschte ich zurück und schob mein Kissen ein Stück weiter nach hinten.
    Seb gab vor, es nicht zu bemerken. »Ich kann spüren, wie viele Sorgen sich dein Engel gemacht hat«, sagte er und stützte sich auf einer Hand ab. »Ich erfasse aber nichts, was nicht stimmt. Etwas hat sie beunruhigt, aber ich kann nicht erkennen, was.«
    Ich registrierte die Ratlosigkeit meines Engels, als sie selbst noch einmal alles überprüfte und feststellte, dass Seb recht hatte: Sie konnte das, was sie gequält hatte, ebenfalls nicht mehr spüren – es war wie vom Erdboden verschluckt. Vielleicht hatte es aber auch nie existiert. Sie zögerte eine ganze Weile,

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