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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. A. Weatherly
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wieder aufsteigen wollten, kam die Frau hinter ihrem Stand hervorgeeilt. In der Hand hielt sie ein in Papier gewickeltes Päckchen, aus dem der köstliche Duft von geröstetem Schweinefleisch aufstieg.
    »Für später, bitte«, sagte sie auf Spanisch. »Das ist das Mindeste, was ich tun kann.«
    »Garcías, Señora.« Dankbar legte Alex das Essen in das kaputte Gepäckfach. Jetzt konnten sie das Geld fürs Abendessen sparen.
    »Garcías«, wiederholte Willow eifrig. »Muchas, muchas gracias.«
    Ein paar Minuten später rasten sie wieder den Highway hinunter und ließen Chihuahua in einer heißen Dunstglocke hinter sich zurück. Die pastellfarbigen Häuser, an denen sie vorbeikamen, waren klein und staubig, auf jedem Dach stand ein schwarzer Wassertank. Alex blickte zu der gezackten Silhouette der Sierra Madre, die bedrohlich hinter den Häuschen am südwestlichen Horizont aufragte. Und er wünschte sich von ganzem Herzen, Willow hätte ihren Traum nie gehabt. Dort oben in der Wildnis hätte er eine respektable Chance gehabt, sie zu beschützen. In Mexico City dagegen …
    Aber jetzt hatten sie sich entschieden. Und während sie über den Wüstenhighway brausten, griff er nach Willows Hand, die um seine Taille lag, und verschränkte seine Finger mit ihren.

4
     
     
    »Werde ich die wahre Liebe finden?«, fragte die Frau. Sie war Mitte zwanzig, hübsch, und hatte ein ernstes Gesicht.
    Sie saßen in einer Ecke des Marktplatzes von Chihuahua. Während Seb überlegte, was er darauf antworten sollte, gab er vor, ihre Handfläche zu inspizieren – obwohl die Lebenslinie der Frau für die Informationen, die er erhielt, völlig unerheblich war. Das eigentlich Entscheidende waren ihre Aura, die Struktur ihrer Energie, plötzlich aufblitzende Erkenntnisse.
    »Es gibt einen Mann in Ihrem Leben – sein Name ist Carlos«, sagte er. Namen machten ihm normalerweise Probleme, aber bei diesem war er sich sicher, die Schwingungen, die er verspürte, waren stark. »Sie haben gehofft, dass er Ihnen einen Heiratsantrag machen wird, Senorita. Aber ich sehe nicht, dass es dazu kommen wird.«
    Sie sah ihn fassungslos an. »Aber … er hat mich erst gestern Abend gebeten, ihm noch ein bisschen mehr Zeit zu geben.«
    Seb sah es jetzt ganz deutlich: Carlos hatte nicht nur zwei weitere Freundinnen, er war obendrein auch noch verheiratet. Die Frau war völlig ahnungslos. Sie glaubte alles, was dieser cabron ihr erzählt hatte. Das war nicht ungewöhnlich – eine Menge Männer schienen die Bedeutung des Wortes »Treue« nicht zu kennen – außer wenn es darum ging, wie sich ihre Ehefrauen und Freundinnen zu verhalten hatten. Aber Seb hatte im Laufe der Jahre schon zu vielen Frauen die Zukunft vorhergesagt, um solche Ansichten noch länger zu tolerieren.
    Inzwischen wusste er genau, was sie in ihnen anrichteten, wie sie sich dabei fühlten.
    »Carlos’ Leben ist kompliziert«, sagte er und es gelang ihm, sich seinen Zorn auf den Mann nicht anmerken zu lassen. »Es tut mir leid, Senorita, aber er kann Ihnen in seiner Lage keinen Antrag machen. Und ich fürchte, daran wird sich auch nie etwas ändern.«
    Normalerweise war er nicht so direkt, aber er merkte, dass die Frau unbewusst die Hoffnung schon aufgegeben hatte. Genau deshalb war sie auch stehen geblieben, um sich von ihm die Zukunft vorhersagen zu lassen. Jetzt zuckte sie zusammen und ließ den Kopf hängen. »Ich habe so sehr zu den Engeln gebetet, dass sich alles zum Guten wendet«, flüsterte sie. »Ich habe gedacht … ich habe gedacht, dass jetzt so viele neue angekommen sind, wäre vielleicht ein Zeichen dafür, dass sie mich erhört haben.«
    »Die Engel sind sehr freundlich«, sagte Seb diplomatisch. Er konnte erkennen, dass das Energiefeld der Frau unbeschädigt war. Sie war nur eine von denen, die die Engel von sich aus liebten. Menschen wie sie gab es viele. Und er nahm an, dass jetzt, wo sich die Zahl der Engel um ein Vielfaches vergrößert hatte, schon bald noch mehr dazukommen würden. »Aber ich kann sie hören«, fuhr er fort. »Und sie sagen mir, dass Sie nicht auf Carlos warten sollten.«
    Die Frau machte große Augen. Okay, das hatte er jetzt erfunden – aber irgendetwas musste er ihr geben, sonst würde sie den Absprung nicht schaffen. »Sie möchten, dass Sie nach vorne blicken«, sagte er streng. »Dass Sie glücklich sind. Sie waren schon sehr lange nicht mehr glücklich, Senorita.«
    Als die Frau schließlich ging, wirkte sie nachdenklich. Seb konnte die

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