Hueter der Daemmerung
habe, normalerweise schon«, räumte er ein.
»Und du hast schon mehrere Hundert verfolgt«, erinnerte sie ihn. »Also muss das ein ziemlich typisches Verhalten sein. Wenn ein Engel meine Aura entdeckt, während er sich gerade nähren will, dann würde er uns wahrscheinlich ebenfalls auffallen und wir hätten eine reelle Chance, ihn zu erledigen.«
Wenn es um Willows Sicherheit ging, zählten Wörter wie »wahrscheinlich« und »reell« nicht gerade zu seinen Lieblingswörtern. Er sah zu ihr hinunter, nahm ihre Hand und spielte mit ihren Fingern. »Wie stark ist dein Gefühl, dass wir dorthin müssen?«, fragte er schließlich.
»Wirklich stark« ‚erwiderte sie, ohne zu zögern. »Das Geschrei all dieser Engel …« Ihre Stimme verlor sich. Dann sagte sie: »Alex, ich habe das Gefühl, dass in Mexico City etwas passieren wird, das den Engeln ernsthaft schaden kann. Aber wir müssen dort sein, damit es dazu kommt. Wir müssen.«
Alex schwieg. Bislang hatten Willows Vorahnungen sie noch nie in die Irre geführt. Und wenn das, was sie geträumt hatte, auch nur ansatzweise stimmte, dann hatte sie fraglos recht – sie mussten dorthin. Und unabhängig von ihrem Traum wusste er, dass es leichter sein würde, in einer Stadt Leute anzuwerben, als oben in el monte. Wäre er allein, dann wäre Mexico City sein Ort der Wahl. Und dann waren da ja auch noch die Abtrünnigen: Engel, die der Meinung waren, dass ihre Spezies nicht das Recht hatte, die Menschheit auszulöschen. Nate hatte ihnen davon erzählt, dass sie etwas taten, das sich »immunisieren« nannte. Dabei implantierten sie ein winziges Stückchen psychische Abwehrkraft in die Aura eines Menschen, um sie für Engel ungenießbar zu machen. In Mexico City gab es mit Sicherheit Abtrünnige. Wenn er sich irgendwie mit ihnen zusammentun konnte, würde möglicherweise genau das dem Kampf gegen die Engel eine entscheidende Wende geben.
Alex massierte sich die Stirn, als der stechende Kopfschmerz sich erneut bemerkbar machte. Tja, nach Mexico City zu gehen war vollkommen logisch … außer, dass er sie bereits einmal fast verloren hatte.
Willow registrierte die Bewegung seiner Finger auf seiner Stirn. Obwohl er die Besorgnis in ihren Augen sehen konnte, nahm sie es diesmal kommentarlos zur Kenntnis. Stattdessen sagte sie: »Alex, wir müssen dorthin. Wirklich.«
»Na gut«, gab er schließlich nach. Er rang sich ein Lächeln ab. »Wenn man schon eine Freundin hat, die hellseherisch veranlagt ist, dann sollte man wohl auch auf sie hören, stimmt’s?«
Sie streckte den Arm aus und nahm seine Hand. Ihm war klar, dass sie nur allzu gut wusste, wie sehr er sich davor fürchtete, dass ihr etwas zustieß. »Okay«, sagte sie leise. Sie wandte sich wieder ihrem Taco zu. Doch dann hielt sie inne und ihre Augen wurden schmal. »Warte mal. Heißt das, wenn ich nicht hellsehen könnte, würdest du nicht auf mich hören?«
Sie sah so süß aus, dass er trotz seiner düsteren Vorahnungen beinahe grinsen musste. Er zog eine Augenbraue hoch und musterte sie. »Ist das eine Fangfrage? Natürlich nicht – schließlich bist du ein Mädchen.«
Willow machte einen Schmollmund und ihre grünen Augen blitzten belustigt auf. Sie fing an zu lachen. »Na warte, das gibt Ärger!«
»Ach ja?«
»Ach ja!« Sie stützte sich auf ihre Ellenbogen und beugte sich über den Picknicktisch, um ihn zu küssen. Alex’ Finger schlossen sich um die glatte Haut in ihrem Nacken. Einen Moment lang hielt er sie fest und genoss das Gefühl ihrer Lippen auf seinem Mund.
»Ist das deine Vorstellung von Ärger?«, fragte er, nachdem sie sich voneinander gelöst hatten. »Mir scheint, du hast dieses ganze Konzept von Strafe und Abschreckung noch nicht so richtig kapiert. Wenn ich also kurz erläutern dürfte: Ziel ist es, mich davon abzuhalten, etwas noch einmal zu tun. Durch Abschreckung, nicht durch Belohnung.«
Willow lachte und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Wenn hier einer abgeschreckt wird, dann ich. Deine Lippen brennen von diesen ganzen Chilis –« Plötzlich zeichnete sich Panik auf ihrem Gesicht ab. »Alex! Das Motorrad!«, schrie sie.
Ohne nachzufragen sprang er von der Bank. Während sie sich unterhalten hatten, hatte ein Pick-up vor dem Taco-Stand geparkt und ihnen die Sicht auf das Motorrad versperrt. Als Alex um den Wagen herumsprintete, erblickte er einen stämmigen schwarzhaarigen Kerl, der neben dem Motorrad kniete und gerade dabei war, das Zelt loszubinden. Neben ihm
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