Hueter der Daemmerung
schlanken Armen sehen, die wirkten, als mache sie täglich eine halbe Stunde lang Klimmzüge.
Auf ihrem linken Oberarm war in gotischer Schrift ein schwarzes AK eintätowiert.
Die Zeit war stehen geblieben. »Kara«, wisperte Alex.
Das Mädchen klappte den Mund auf und schloss ihn wieder. »Jake?«, brachte sie heraus. Ihre Stimme klang spröde.
»Nein«, sagte er. »Nein, ich bin –«
»Alex«, beendete sie den Satz für ihn. »Oh mein Gott! Alex!« Noch bevor er wusste, wie ihm geschah, hatte sie sich in seine Arme geworfen und sie umarmten sich stürmisch. »Ich glaub’s nicht!«, keuchte Kara und klang, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. »Du bist es wirklich … du lebst, du bist okay …«
»Ich dachte, du wärst tot«, sagte er an ihrem Hals. Kara. Die Kehle wurde ihm zu eng zum Sprechen. »Ich dachte, außer mir wären alle tot.«
Sie lehnte sich zurück und berührte sein Gesicht. Ihre zierliche Hand fühlte sich fest und kräftig an. »Lass dich anschauen«, flüsterte sie mit leuchtenden Augen. »Du siehst Jake so ähnlich! Du bist ja richtig erwachsen geworden …«
Plötzlich lachten sie beide. »Ja, total erwachsen, genau wie du«, neckte er und steckte seine Pistole weg. Kara war nur vier Jahre älter als er, aber damals, als verknallter Vierzehnjähriger, hatte er das Gefühl gehabt, es seien vier Jahrzehnte.
Die Spannung um sie herum hatte nachgelassen. Die AKs beobachteten sie verwirrt. Willow trat vor. Er konnte sehen, wie sehr sie sich für ihn freute, dass jemand von seinen alten Freunden überlebt hatte. Doch der angespannte Zug um ihren Mund erinnerte ihn an ihre Begegnung mit Cully in New Mexico. Damals hatte sie befürchtet, dass alle AKs sie für das, was sie war, hassen würden.
»Willow, das ist Kara Mendez«, sagte er zu ihr. »Wir waren zusammen im Camp.«
»Hi«, sagte Willow und streckte Kara die Hand hin. In ihrem Karohemd und mit den großen grünen Augen wirkte sie fast ein wenig verloren. »Ich bin Willow Fields.«
Karas Augenbrauen schossen in die Höhe. Vorsichtig schüttelte sie Willow die Hand. »Willow Fields? Die Terroristin Willow Fields, die sämtliche Schlagzeilen beherrscht?«
Willow zuckte mit den Schultern und versuchte zu lächeln. »Ja, so in etwa. Ich habe versucht, die Zweite Welle aufzuhalten.«
»Und sie ist nicht menschlich«, warf der Texaner verdrossen ein. »Überprüf mal ihre Aura, Kara. Die ist total seltsam. Außerdem war da ein Engel mit ihrem Gesicht, und –«
»Halt die Klappe, Sam!« So wie Kara es sagte, schien dieser Satz häufiger zur Anwendung zu kommen. Trotzdem wurde ihre Miene wachsam, als sie Alex einen Blick zuwarf. »Würdest du mir erklären, wovon er eigentlich redet?«
Alex wollte antworten, doch Willow legte ihm die Hand auf den Arm und unterbrach ihn. Sie hob ein wenig das Kinn und erklärte mit fester Stimme: »Er redet davon, dass ich ein Halbengel bin.«
Kara sog scharf die Luft ein, die anderen wichen entsetzt zurück und starrten Willow an.
»Boah«, murmelte der Junge mit der Drahthaarfrisur und machte einen Schritt nach hinten. Auf dem breiten Gesicht des Texaners, den Kara Sam genannt hatte, paarte sich Selbstzufriedenheit mit blankem Entsetzen.
»Halbengel?«, stammelte Kara schließlich. »Ich dachte, das wäre unmöglich!«
»Ich weiß«, sagte Willow standhaft. »Aber es stimmt. Mein Vater …« Sie hielt inne. Ihre Züge strafften sich. »Mein Vater war ein Engel«, schloss sie. »Ich habe ihn aber nie kennengelernt. Und bis vor Kurzem habe ich nichts von alldem gewusst.«
Alex war klar, dass Karas Reaktion vermutlich milder ausfiel als seine eigene, als er von Willows Abstammung erfahren hatte. Trotzdem konnte er sie kaum ertragen. Sie gaffte Willow an, als wäre sie eine Art unvorstellbares Laborwesen.
»Willow und ich sind zusammen.« Er legte den Arm um Willow und zog sie an sich. »Sie wäre beinahe gestorben, als sie in Denver versucht hat, die Zweite Welle aufzuhalten.«
Kara rührte sich nicht, aber er hatte den Eindruck, dass sie gerade bis ins Innerste erschüttert worden war. Dass sie darüber sogar noch schockierter war, als über die Enthüllung von Willows Herkunft. »Zusammen«, wiederholte sie ausdruckslos. Ihre schokoladenbraunen Augen verengten sich. »Nur damit ich klarsehe: Du sagst mir, dass du einen Halbengel zur Freundin hast.«
»Ja«, antwortete Alex. »Genau so ist es.« Ihre Blicke kreuzten sich und als er sah, wie Kara das Kinn reckte, fiel ihm plötzlich
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