Hueter der Daemmerung
und Tante des Halbengels bei einem Brandanschlag ums Leben gekommen waren. Gut – das ersparte ihm die Mühe, seine gestörte Ex-Geliebte selbst aus dem Weg räumen zu müssen. Denn selbstverständlich hätte Miranda nicht am Leben bleiben dürfen, jetzt, da er ihre Identität kannte und wusste, dass er der Vater dieses Dings war. Die Möglichkeit, dass sein Geheimnis ans Licht kommen könnte, war ekelerregend.
Der holzgetäfelte Raum rund um ihn herum war von gediegener Opulenz – ein flauschiger grauer Teppich, antike Möbel und Bücher und, tagsüber, ein atemberaubender Ausblick auf die Rocky Mountains. Nebenan in seinem Schlafzimmer schlief Jenny, die Gläubige, die während seiner Bewusstlosigkeit an seinem Bett gewacht hatte. Nach dem Abgang des Konzils war sie, zusammen mit den anderen Menschen, die man während des Besuchs ausquartiert hatte, zurückgekommen. Weinend und besorgt hatte sie sich in seine Arme geworfen. Und Raziel hatte mit Befriedigung festgestellt, wie attraktiv sie war. Und wie köstlich ihre Energie schmeckte, nachdem er sich mehrere Tage lang überhaupt nicht hatte nähren können. Als er erst mal mit ihr allein gewesen war, hatte er seine Hände tief in das strahlende Türkis ihrer Aura vergraben und getrunken und getrunken, bis sie mit großen, verwunderten Augen ins Wanken geraten war. Wie sich herausgestellt hatte, war ihr Körper nicht weniger appetitlich – und der Umstand, dass das Konzil während ihrer Unterredung noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, wie sehr es dergleichen missbilligte, hatte den Genuss nur noch erhöht. Jetzt fühlte sich Raziel schon wieder viel mehr wie er selbst. Und besser gewappnet für das anstehende Problem.
Unglücklicherweise gab es keine einfache Lösung. Obwohl die Zwölf getötet werden konnten, wie jeder andere Engel auch, war die mentale Kontrolle, die sie über ihre Mitengel ausübten, viel stärker als gedacht. Das hatte die Massenhinrichtung heute eindrücklich veranschaulicht. Einer ganzen Armee aus Engeln -immer vorausgesetzt, dass er überhaupt eine aufstellen konnte -würde es nicht besser ergehen als den Verrätern. Nein, was er brauchte, waren … konventionellere Methoden.
Mexico City.
Raziel runzelte die Stirn, als er sich an die merkwürdigen Erkenntnisfetzen erinnerte, die ihm vorhin beim Duschen in den Kopf gekommen waren. Und jetzt fiel ihm ein, dass der Moment unter der Dusche nicht der erste dieser Art gewesen war. Bereits als er bewusstlos im Bett gelegen hatte, hatte er das Mädchen gespürt – hatte gewusst, dass sie und Kylar in einem Zelt in der Nähe der mexikanischen Grenze waren. Was ging hier vor?
Er klickte auf einige Buttons und rief die Webseite der Church of Angels auf. Noch immer zeigte ihre Startseite das Foto des Mädchens: blond und lächelnd; leuchtende grüne Augen. Seine Tochter. Als er sich Jenny vorstellte, die schlafend in seinem Bett lag, verzog sich Raziels Mund zu einem spöttischen Grinsen. Wenn er auch nur eine Sekunde lang geglaubt hätte, dass sich eine solche perverse Verirrung der Natur wie Willow Fields jemals wiederholen könnte, hätte er sich auf der Stelle freiwillig beim Konzil zur Hinrichtung gemeldet. Nein, diese Anomalie war eindeutig etwas gewesen, das auf Mirandas Konto ging und mit ihm nichts zu tun hatte. Auch wenn es jetzt nicht mehr möglich war, herauszufinden, was genau es gewesen war.
Was er dagegen herausfinden konnte, war, woher er wusste, wo sich das Mädchen aufhielt. Er lehnte sich entspannt in seinem Ledersessel zurück, schloss die Augen und machte sich auf die Suche. Er ließ allem freien Lauf. Bilder von den Augenblicken in der Kathedrale, bevor die Zweite Welle eintraf, zogen vorbei. Die lange Reihe der Gottesdiensthelfer aus dem ganzen Land, die ehrerbietig vor der Pforte knieten. Die Schreie eines Mädchens. Willows erschrockenes Gesicht, als ihr klar wurde, dass ihre Tarnung aufgeflogen war. Ihr wilder Sprint zur Pforte, mit ihrem Engel, der über ihr flog. Er selbst, der ihren Engel von seiner Aufgabe abhielt und die irritierend vertraute Energie spürte, als ihre Flügel und Auren sich berührten.
Tatsächlich konnte er immer noch ihre Energie in sich spüren, selbst jetzt. Es war, als hätte Willow einen kleinen Teil ihrer selbst zurückgelassen, wie Pollen, die von einer Blüte gestreift worden waren.
Raziel hielt inne, als er überlegte, was das bedeuten konnte. Dann holte er tief Luft und versenkte sich noch tiefer in sich selbst.
Das
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