Hueter der Daemmerung
Zimmer, der Sessel, das Brummen des Computers, alles verblasste und verschwand. Bald fand er das Energiefünkchen seiner Tochter: Ein Stückchen silberner und lavendelfarbener Glut. Obwohl Raziel wegen des unnatürlichen Halbengel-Gefühls das Gesicht verzog, berührte er es dennoch vorsichtig mit seinen eigenen Gedanken. Es reagierte, wurde größer und erweiterte sich zu einem pulsierenden dichten Strom von Informationen, der zu einem ähnlichen Funken seiner eigenen Energie führte, der in Willows Innerem steckte.
Gerade lag sie in einem Bett in Mexico City – sie und Kylar waren anderen Engelkillern begegnet. Der Gedanke, der Raziel unter der Dusche gekommen war, war korrekt: Sie wusste über das Konzil Bescheid. Sie und die anderen glaubten, dass alle Engel sterben würden, wenn man das Konzil tötete, schienen aber von darüber hinausgehenden Folgen nichts zu ahnen – sie hatten keinen blassen Schimmer, dass die ganze Sache, was sie betraf, böse nach hinten losgehen konnte.
Ohne sich dessen bewusst zu sein, wippte Raziel auf seinem Sessel hin und her, während er alles in sich aufnahm: wie Juan über die Informationen gestolpert war; Luis’ Hilfe; all ihre Pläne und Vorhaben. Ein Lächeln breitete sich langsam auf seinem Gesicht aus. Er hätte es nie für möglich gehalten, aber er hatte tatsächlich allen Grund dankbar dafür zu sein, dass er Nachwuchs gezeugt hatte, wie irgendein niederes Tier – denn die Familienbande zwischen ihnen hatten zu einer Art psychischer Verbindung geführt, ausgelöst durch den unabsichtlichen Austausch von Energie in der Kathedrale. Und Willow war vollkommen ahnungslos.
Obwohl er fürs Erste alles erfahren hatte, was er wissen musste, stellte Raziel fest, dass er sich nicht recht trennen konnte. Die Hälfte von Willows Energie stammte unverkennbar von ihm. Er hätte gewusst, dass sie seine Tochter war, selbst wenn sie nicht ausgesehen hätte wie Miranda. Seltsam, dachte er stirnrunzelnd, als er das Gefühl über sich hinwegschwappen ließ. Es war nicht so unangenehm, wie er anfangs gedacht hatte.
Willows Engel regte sich – das Mädchen hatte den Energieaustausch zwischen ihnen gespürt, auch wenn sie nicht wusste, was sie da gespürt hatte. Schnell, aber gründlich, verbarg Raziel den Funken seiner eigenen Energie, der in Willow steckte, und tarnte ihn so, dass er ihrer Essenz so ähnlich wurde wie möglich.
Als Raziel seine Augen wieder aufschlug, war er überzeugt davon, dass das Mädchen keinen Verdacht schöpfen würde. Er würde die psychische Verbindung zwischen ihnen gefahrlos weiter nutzen können. Willows Energiefunke in seinem Inneren bereitete ihm ebenfalls kein Kopfzerbrechen – wenn sie von ihm bislang nichts gespürt hatte, würde es vermutlich dabei bleiben. Raziel war überzeugt, dass seine größere Erfahrung in diesen Dingen ihm einen Vorteil verschaffte. Die Fähigkeiten seiner Tochter waren eindrucksvoll, aber mit jemandem, der diese Fähigkeiten seit Jahrtausenden verfeinert hatte, konnte sie es nicht aufnehmen. Pech für sie.
Als er sah, dass sich auf seinem Computer mittlerweile der Church of Angels -Bildschirmschoner aktiviert hatte, tippte er seine Maus an und holte Willows Foto zurück auf den Bildschirm.
Vielleicht hatte Paschar ja doch recht, überlegte er. Paschar, ein Engel, der vor fast zwei Monaten von Kylar ermordet worden war, hatte in einer Vision gesehen, dass Willow die Gattung der Engel vollständig vernichten konnte. Ein Halbengel, der möglicherweise die Fähigkeit besaß, sie alle auszulöschen: Raziel konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das klang doch nach einer idealen Kandidatin für die Ausschaltung des Konzils.
Als Erstes musste selbstverständlich die Jagd nach Willow und Kylar etwas eingedämmt werden. Ironischerweise musste Willows Sicherheit nunmehr zu seiner dringlichsten Aufgabe werden. Morgen würde er ein paar Telefonanrufe tätigen – und die Medien dazu bringen, sich allmählich wieder zu beruhigen. Nach ein paar Wochen, in denen sie nicht tagaus, tagein mit ihrem Bild bombardiert wurde, würde die breite Masse sie vergessen. Normale Menschen hatten die Aufmerksamkeitsspanne eines Eichhörnchens. Die anderen Engel würden sich zwar nicht annähernd so leicht ablenken lassen, aber wenn die menschlichen Mitglieder der Kirche erst einmal Ruhe gaben, bestand wenigstens die Chance, dass Willow keinem Lynchmob zum Opfer fiel.
Es war aber unwahrscheinlich, dass der Plan der Engelkiller ohne ein wenig Hilfe
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