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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. A. Weatherly
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nicht den Schwanz einziehen«, entgegnete er. Er saß wieder auf dem Tisch und versetzte dem Wasserkrug einen Stoß, der ihn quer über das dunkle, schimmernde Holz schlittern ließ. »Fürs Erste spiele ich mit – mehr nicht.«
    »Genau wie ich vermutet habe«, bemerkte Charmeine mit einer gewissen Befriedigung. Nachdenklich fuhr sie mit dem Finger über den Türpfosten. »Sie sind viel zu sehr von sich eingenommen, weißt du. Da hast mein Innerstes wirklich bis zum letzten Winkel durchforscht, sie denken nur, sie hätten es getan. Es ist ihnen nicht einmal in den Sinn gekommen, dass die ach so heilige Familienenergie allein nicht ausreicht, um alles über mich herauszubekommen. Und unterdessen habe ich meinerseits das eine oder andere in Erfahrung gebracht.«
    Raziel betrachtete sie prüfend. »Wie zum Beispiel?«
    »Wie zum Beispiel, dass sie nie ernsthaft in Erwägung gezogen haben, dass jemand es auf sie abgesehen haben könnte.« Ihre Blicke trafen sich und sie lächelte. »Sie sind ein wenig besorgt wegen des Sicherheitsrisikos, das hier von den Nicht-Gläubigen ausgeht, mehr aber auch nicht. Zu Hause haben wir Geschichten über Engelkiller gehört und nun dieser Zwischenfall mit dem Halbengel und der Pforte. Aber andere Engel, die sie vernichten wollen? In Anbetracht der möglichen Konsequenzen für uns alle? Nein, niemals. Sie kämen nicht im Traum darauf.« Sie zuckte mit den Schultern. »Trotzdem, in meinen Augen ist das hier eine funkelnagelneue Welt. Und eine neue Welt braucht einen neuen Anfang, den wir niemals bekommen werden, solange das Konzil existiert.«
    Raziel hatte dasselbe gedacht. Es in Worte gefasst zu hören und die Leidenschaft dahinter zu spüren, versetzte ihn in eine düstere Erregung.
    Wenn die Erstgeschaffenen starben, würden alle Engel sterben. So war es ihnen seit Anbeginn aller Zeiten eingebläut worden. Und sosehr es Raziel auch widerstrebte, er musste zugeben, dass das in ihrer Heimatwelt wahrscheinlich so gut wie sicher zutraf. Aber hier lagen die Dinge anders – der Äther in dieser Welt war dünner. Deswegen mussten sich die Engel ja auch von Menschen nähren, statt aus dem Äther selbst. In Wahrheit wusste niemand, was tatsächlich passieren würde, wenn die Zwölf hier getötet würden anstatt zu Hause.
    Der vorherrschenden Meinung zufolge wäre das Resultat exakt dasselbe: Ohne die Energie der Erstgeschaffenen würden alle Engel sterben. Allerdings gab es durchaus denkbare Alternativen zu diesem Szenarium. Die verlockendste war, wenn das Konzil hier getötet würde, würde auch nur das Konzil sterben.
    Kaum jemand glaubte daran – das Konzil im Hinblick auf ihre eigene Existenz für unverzichtbar zu halten, war für die meisten Engel zur zweiten Natur geworden. Raziel allerdings hatte mittlerweile so viel Zeit in dieser Welt verbracht, dass ihm diese Möglichkeit durchaus realistisch erschien. Die Engel waren hier immer noch miteinander verbunden, aber längst nicht so stark wie zu Hause. Der dünne Äther schwächte auch ihre Bindung. Er wusste, dass er sich in ihrer Welt noch längst nicht von der Ermordung der Abtrünnigen erholt hätte. Anders als hier. Soweit er feststellen konnte, musste der Tod des Konzils sie nicht zwangsläufig alle vernichten.
    Andere wahrscheinliche Auswirkungen kamen Raziel in den Sinn und in Gedanken zuckte er gleichmütig mit den Schultern. Keine davon kümmerte ihn sonderlich. Selbst die potenzielle Gefahr für die Welt der Menschen war ihm das Risiko wert, wenn die Konstante in sämtlichen Szenarien der Tod des Konzils war. Und er selber würde höchstwahrscheinlich sowieso in Kürze hingerichtet werden, da er nicht die Absicht hatte, sich der Herrschaft der Zwölf zu unterwerfen. Wenn sich das waghalsige Unternehmen also auszahlte, dann richtig – und wenn nicht, na dann wäre er ohnehin nicht mehr da, um die Schuld auf sich zu nehmen.
    »Ich nehme an, du weißt, was du da sagst«, stellte er fest und betrachtete Charmeine, die an der Tür lehnte.
    »Ja, das tue ich.« Charmeines Augen funkelten ihn herausfordernd an. »Und du, Raz? Traust du dich, mit dem Feuer zu spielen?«
    Die Frage war: Wie?
    Später am Abend saß Raziel in einem schwarzen Morgenmantel aus Seide an seinem Schreibtisch. Während er sich mit dem Problem befasste, arbeitete er seine eingegangenen Mails ab. Mehrere von ihnen enthielten Links zu Nachrichtenmeldungen. So wusste er beinahe unmittelbar nachdem er seinen Computer eingeschaltet hatte auch schon, dass Mutter

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