Hueter der Daemmerung
Erfolg haben würde. Zum Glück war er bereit, hinter den Kulissen ein bisschen väterlichen Beistand zu leisten.
Gemeinsam mit anderen Handlangern des Konzils würde Charmeine bald zu einer kurzen Vorbereitungsreise nach Mexico City aufbrechen. Es wäre ein Kinderspiel für sie, sich mit dieser Luis-Type zu treffen und den Dingen ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Und zu gegebener Zeit, nachdem Willow, ihr Freund und ihr kleines Häufchen von Engelmördern ihren Zweck erfüllt und das Konzil beseitigt hätten, würde er sie alle langsam und qualvoll hinrichten lassen.
Natürlich nur, wenn zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch jemand am Leben war.
8
Der Mädchenschlafsaal war ein großer Raum im ersten Stock, mit einem Boden aus Terrakottafliesen, einem hohen Bogenfenster und vier Einzelbetten. Obwohl ich mich wie gerädert fühlte, lag ich in dieser ersten Nacht stundenlang wach. Ich hatte mich in meinem geborgten Schlafanzug ganz klein zusammengerollt und versuchte mir einzureden, dass wir das Konzil schon irgendwie besiegen würden und dass alles gut werden würde – dass die düstere Vorahnung, die mich vor dem Haus überfallen hatte, nichts zu bedeuten hatte.
Oder das Gefühl des Grauens in meinem Traum, wenn wir schon mal dabei waren.
Es war allerdings nicht leicht, mich selbst davon zu überzeugen, nachdem der Schwärm der jagenden Engel über dem Zócalo exakt meinem Traumbild entsprochen hatte. Als ich mir den Rest des Traumes wieder in Erinnerung rief – den seltsamen Jungen im Park – runzelte ich in der Dunkelheit die Stirn. Unruhe stieg in mir auf. Wenn die Ereignisse auf dem Zócalo wahr geworden waren … Verärgert schüttelte ich den Kopf. Unmöglich. Der Gedanke, dass mir ein anderer Junge je so viel bedeuten konnte wie Alex, war schlichtweg verrückt.
Vergiss den Traum, beschloss ich. Nicht alles traf zu, das war doch vollkommen offensichtlich – und außerdem hatte ich bereits mit der Realität alle Hände voll zu tun. Mit Kara und den anderen, die sich insgeheim vor mir fürchteten und jede meiner Bewegungen mit Argusaugen verfolgten. Sie werden darüber hinwegkommen, wenn sie erst einmal herausfinden, dass ich im Grunde genommen genauso menschlich bin wie sie, dachte ich. Ich starrte auf das Fenster. Das Licht einer Straßenlaterne fiel durch die dünnen Vorhänge. Es braucht nur Zeit.
Ich erinnerte mich an die Atmosphäre im Schlafsaal, als Kara mich hineingeführt hatte, und seufzte. Okay, eine ganze Menge Zeit vielleicht. Liz und Trish waren rein optisch so verschieden wie Tag und Nacht. Doch wie sie mit schützend vor der Brust verschränkten Armen dagestanden und mich beobachtet hatten, hätten sie genauso gut Zwillinge sein können. Liz’ Miene hinter den schwarzen Haaren, die ihr halb ins Gesicht hingen, war kalt gewesen. Trish hatte verängstigt und verunsichert auf ihrer Unterlippe herumgekaut. Irgendwie hatte ihr Ausdruck so gar nicht zu ihren Sommersprossen und der fröhlichen Stupsnase gepasst.
»Sie bleibt also?«, wollte Liz wissen.
»Scheint so«, erwiderte Kara knapp. Sie war dabei, das freie Bett frisch zu beziehen. Es stand in der Ecke, ein wenig abseits von den anderen. Ich glaube, kaum jemand war darüber besonders betrübt, ich selbst eingeschlossen.
Ich ging hinüber, um ihr zu helfen. »Ja, wir bleiben«, sagte ich über meine Schulter zu Liz, und ertappte sie dabei, wie sie Trish etwas zuflüsterte – die den Tränen nahe schien, als sie merkte, dass ich sie ansah. Panisch fuchtelte sie mit der Hand, um Liz zum Schweigen zu bringen.
Ich hatte mich über das Bett gebeugt, doch jetzt richtete ich mich auf. »Hört mal, ich weiß, dass das für euch total seltsam sein muss …« Ich hielt inne. Beide waren zu Salzsäulen erstarrt, als hätte ein Stuhl plötzlich das Wort ergriffen. Na super. Statt sie noch weiter zu beunruhigen, wandte ich mich ab und griff nach dem Schlafanzug, den Kara mir gegeben hatte. Blau mit weißen Tupfen.
»Kann ich irgendwo duschen?«, fragte ich Kara. In dem Badezimmer, zu dem sie mich vorhin dirigiert hatte, war keine Dusche gewesen und ich sehnte mich danach, den ganzen Dreck nach einem Tag auf der Shadow endlich loszuwerden.
»Ja, aber wir haben nur eine, leider«, sagte Kara. Ich versuchte, sie nicht so anzustarren, wie Liz und Trish mich anstarrten, aber ihre ebenmäßigen, exotischen Gesichtszüge faszinierten mich. »Normalerweise duschen die Jungs abends und wir morgens«, fuhr sie fort, ohne mich anzugucken.
Weitere Kostenlose Bücher