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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. A. Weatherly
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abhielten, sich zu verwandeln.
    Regungslos standen die Verräter vor dem Konzil und erwarteten ihr Schicksal. In der Kathedrale war es totenstill geworden. Charmeine saß stocksteif neben ihm. Die Zwölf sagten nichts, aber eine schwere Energiewolke, die vor Macht und Kraft knisterte, ballte sich im Raum zusammen. Raziel spürte, dass sie ihre psychische Gewalt über die Gefangenen Schritt für Schritt umkehrten und sie jetzt in ihre verletzlicheren Engelskörper zwangen. Da die Gefangenen wussten, was das zu bedeuten hatte, widersetzten sie sich mit aller Kraft, spannten die Muskeln, verzerrten die Gesichter. Raziel wand sich voller Unbehagen. Er hatte nichts dagegen, den Tod der Verräter mitanzusehen, aber die Machtdemonstration des Konzils war … verstörend.
    Ein dunkelhaariger Engel namens Elijah war der Erste, der kapitulieren musste. Seine Engelsgestalt brach hervor. Die geflügelte Gestalt schoss in die Höhe und versuchte, durch die Decke zu entkommen. Ein schneller mentaler Schubs des Konzils – und schon hing er in der Luft und schlug kraftlos mit den Flügeln wie ein aufgespießtes Insekt. Sein Heiligenschein fing an zu glühen, heller und immer heller – zu hell. Er pulsierte und zitterte unter dem Druck, bis er geräuschlos explodierte. Elijahs Schrei hallte durch das höhlenartige Gebäude, als er zerfetzt wurde. Dann herrschte wieder Stille, während die Überreste seiner himmlischen Hülle zu Boden schwebten.
    Raziel zuckte zusammen – Elijahs Tod schien auch ihm ein Stückchen seiner Selbst entrissen zu haben. Mittlerweile hatte die Energie der Zwölf weiter an Stärke gewonnen. Wie ein Herzschlag pulsierte sie durch die Kathedrale. Mit einem gequälten Schrei verloren nun auch andere Engel den Kampf und wechselten blitzartig den Körper. Das Konzil behielt die Situation mühelos im Griff, sie wurden spielend mit allen gleichzeitig fertig und die Heiligenschein-Herzen zerplatzten eines nach dem anderen. Schimmernde Scherben aus Licht rieselten wie Schnee herab. Schreie gellten. Engelskörper zuckten und krümmten sich. Raziel biss die Zähne zusammen, als jeder einzelne Tod schmerzhaft die Klauen in ihn schlug. Charmeines Gesicht neben ihm war ausdruckslos, aber blass.
    Als der letzte hingerichtete Engel verschwunden war, verwandelte sich das Konzil. Ihre Flügel schlugen gemächlich hin und her, während sie in der Luft schwebten und sich dem Publikum zuwandten. Raziel gelang es nur mit Mühe, seine Augen nicht zu bedecken. Die himmlischen Körper der Erstgeschaffenen waren von einer schmerzhaften Helligkeit. In dem lodernden weißblauen Licht, in dem sie sich ihren Zuschauern präsentierten, waren ihre Gesichtszüge nicht auszumachen. Wie Donnerhall stieg ein Gedanke auf, zwölf Stimmen, die gemeinsam sprachen: So verfahren wir mit Verrätern. Wir sind uns sicher, dass ihr es alle verstanden habt.
    Raziel schluckte, seine Kehle war plötzlich trocken. Typisch für das Konzil, eine notwendige Hinrichtung wie diese obendrein in eine nützliche, kleine Gedächtnisstütze umzumünzen. Er brauchte sich gar nicht erst umzudrehen, um zu wissen, wie elend die Ersteinwanderer aussahen, die ihn unterstützt hatten.
    Das Konzil verharrte fast eine Minute in der Luft. Schweigend verliehen sie ihren Worten Nachdruck. Schließlich ließen sie sich zurück auf den Boden sinken und nahmen wieder menschliche Gestalt an. Obwohl sie ihn nicht ansahen, fühlte Raziel sich plötzlich aus der Masse herausgegriffen, auf seinem Sitz festgenagelt, wie die Verräterengel in der Luft. Immer noch sprach das Konzil nur durch seine Gedanken, und die Stimme, die eine und zwölf zugleich war, grollte durch ihn hindurch:
    Raziel, könnten wir dich bitte allein sprechen?
    Das Treffen war kurz und die Zwölf kamen ohne Umschweife zum Punkt.
    Eine halbe Stunde später saß Raziel allein in einem Konferenzraum im Untergeschoss der Kathedrale und starrte auf den schimmernden Holztisch, auf die geschmackvolle Einrichtung und den silbernen Wasserkrug, dessen Henkel von einer anmutigen Engelsfigur gebildet wurde. All dies war sein Werk, sein Verdienst – und wenn er ganz brav und folgsam wäre, würde man es ihm allem Anschein nach gestatten, es noch ein Weilchen zu behalten.
    Oder auch nicht.
    In ohnmächtiger Wut ballte er die Fäuste zusammen. Nein. Damit würden sie nicht durchkommen – nicht nach all seiner harten Arbeit, nicht nach alldem, was er in dieser Welt erreicht hatte und sonst noch vorhatte. Das würde er nicht

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