Hueter der Daemmerung
Charmeine brach ab. Er spürte ihre Anspannung, als sie auf etwas lauschte. »Ich muss aufhören«, sagte sie abrupt. »Ich ruf dich zurück, sobald ich kann.«
»Warte! Was ist los? Was –«
Weg war sie. Raziel fluchte. Er wusste, dass es jetzt keinen Sinn hatte, ihre Gedanken zu lesen. Außer dem, was sie auch das Konzil sehen lassen würde, um sie an der Nase herumzuführen, würde er nichts erfahren. Er stieß seinen Stuhl zurück, stand auf und stützte die Hände auf die Fensterbank. Wütend starrte er auf die Berge. In der Ferne gingen schwere Regenschauer nieder. Sie hüllten die Gipfel in dichte Wolken und zogen direkt auf ihn zu.
»Ich werde das Team morgen auf eine Übungsjagd mitnehmen«, sagte Alex.
Kara fläzte sich in dem ramponierten Sessel und ließ die Beine über eine Armlehne baumeln. Sie drehte den Kopf, um ihn anzusehen. »Sind sie denn schon so weit?«
Sie saßen zu zweit im Fernsehraum, die anderen waren irgendwo über den Rest des Hauses verstreut. Willow half Liz in der Küche – Liz war ihr gegenüber so weit aufgetaut, dass sie sie Salat schnippeln ließ. Alex hörte nicht, dass sie viel miteinander sprachen, nahm aber an, dass es immerhin ein Anfang war.
Er zuckte mit den Schultern. »So weit wie sie momentan nur sein können, ohne Engel-Hologramme, die ihnen beim Training helfen. Sie müssen ein paar praktische Erfahrungen sammeln.« Er spürte, wie sich seine Lippen zu einem schmalen freudlosen Lächeln verzogen. »Kannst du dir vorstellen, was mein Dad dazu sagen würde? Ein Team mit auf die Jagd zu nehmen, das nicht mindestens ein Jahr lang trainiert hat?«
Kara trug Jogginghosen und ein enges bauchfreies T-Shirt, das den Blick auf ihre geschmeidigen Arm- und Bauchmuskeln freigab. Sie lächelte ebenfalls. »Lebhaft. Aber die Zeiten haben sich geändert, Al. Ich bin mir sicher, es ist richtig so.«
Er schnitt eine Grimasse und hoffte, dass sie recht hatte. Im Geist sann er bereits über die Details nach und überlegte, wie er es am besten anstellen sollte. Der Bosque de Chapultepec, der große grüne Stadtpark an der Paseo de la Reforma, erschien ihm am geeignetsten – es gab dort ein paar abgeschiedene Ecken, die unter der Woche ruhig waren. Falls das Team auf sich nährende Engel stieße, hätten sie Bewegungsfreiheit und eine gute Chance, unentdeckt zu bleiben. Das Wichtigste war, sie alle so gut wie möglich zu beschützen.
Im Fernsehen liefen die Nachrichten: Erneut war es zu einem Zusammenstoß zwischen Gläubigen und Aktivisten gekommen. Alex starrte auf den Bildschirm. Nur am Rande registrierte er die zeternden, wütenden Gesichter. Er hatte gewusst, dass die Führung des Teams ihn vollkommen in Beschlag nehmen würde. Womit er nicht gerechnet hatte, war, wie sehr ihm alle ans Herz wachsen würden – selbst diejenigen, die er nicht besonders mochte.
Denn darauf kam es gar nicht an. Sie zu trainieren, die Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen – das ging einem unter die Haut und man lernte sie auf eine Art und Weise kennen, die über persönliche Gefühle hinausging. Sam, dem Alex mehrmals am Tag mit Wonne eine geklebt hätte, hatte ihn trotz allem beeindruckt. Er hatte sich in den letzten Wochen mächtig ins Zeug gelegt und war ein verdammt guter Schütze geworden. Liz war schwer in Ordnung, trotz ihrer gelegentlichen Kratzbürstigkeit. Er hatte gesehen, wie hart sie sich ihre Schießkünste erarbeitet hatte und wie streng sie mit sich war, wenn ihr etwas nicht gelang. Brendans ununterbrochenes Gesabbel nervte, aber Alex wusste, dass er ihn vermissen würde, wenn er nicht mehr da wäre. Und Trish, mit ihren Sommersprossen und den blauen Augen, war fast so etwas wie der Kitt, der sie alle zusammenhielt: Sie schlichtete Streitereien und sorgte dafür, dass alle miteinander auskamen.
Gar nicht zu reden von Wesley. Alex hatte ihn zunächst eher ignoriert. Solange er sich im Training gut machte, hatte er weder Zeit noch Lust gehabt, zu ergründen, was sich hinter seiner mürrischen Fassade verbarg. Dann hatte er eines Nachts ein Geräusch in der Schießanlage gehört, und als er nachgesehen hatte, war er auf Wesley gestoßen, der um zwei Uhr morgens mutterseelenallein auf Schießscheiben geschossen hatte.
»Hey, brumme ich dir tagsüber noch nicht genug auf?«, hatte Alex gewitzelt.
Röte hatte Wesleys dunkle Wangen überzogen. Hastig hatte er die Pistole wieder in den Waffenschrank gelegt. »Konnte nicht schlafen«, nuschelte er.
Plötzlich war Alex ein
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