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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. A. Weatherly
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Befriedigung erfüllt, doch jetzt wünschte er sich, er wäre etwas besonnener gewesen. Obwohl das Konzil vermutlich ohnehin kaum angenommen hatte, dass er vor ihnen kuschen würde, waren ihre Vermutungen damit bestätigt worden.
    Die Zwölf hatten nicht auf sein Statement reagiert. Noch nicht.
    Das Wissen, dass ihr wohlüberlegtes Schweigen genau das erreichte, was sie beabsichtigten – nämlich ihn zappeln zu lassen, während er darüber nachgrübelte, wie ihre Reaktion ausfallen würde – ließ ihn mit den Zähnen knirschen. Ihr Abgang konnte für seinen Geschmack nun gar nicht mehr schnell genug über die Bühne gehen, aus mehr als einem Grund. Und sollte der Untergang des Konzils auch für ihn das Ende seines Lebens bedeuten, bliebe ihm immerhin die Genugtuung, sie mit in den Tod gerissen zu haben.
    Der Plan war fix und fertig – obwohl Charmeine etwas herausgefunden hatte, was den wahrscheinlichen Ausgang weniger unsicher erscheinen ließ als zuvor. Was allerdings nicht besonders beruhigend war.
    Im Anschluss an ihren Kurztrip nach Mexico City war es ihr gelungen, sich noch einen Tag länger vor der Gesellschaft der Zwölf zu drücken. Und diesen Tag hatte sie hier mit ihm in der Kathedrale, in seinen Privatgemächern, verbracht. Er hatte Jenny Anweisung gegeben, dass er nicht gestört werden wollte. Er hatte nämlich das Gefühl gehabt, dass sich zwischen ihm und Charmeine wieder etwas anbahnte und wie sich herausstellte, hatte ihn sein Gefühl nicht getrogen. Amüsant, aber reines Kalkül. Von beiden Seiten. Es hatte ihr Bündnis weiter gefestigt und es ihnen erleichtert, gegenseitig ihre Gedanken zu lesen.
    »Ich habe Luis problemlos aufgestöbert«, hatte sie später gesagt. Raziel hatte bereits das eine oder andere aus ihren Gedanken erfahren – flüchtige Eindrücke eines ernsthaften jungen Mannes mit braunen Augen und dichtem schwarzen Haar. Dennoch lauschte er ihrer Schilderung der Begegnung mit Interesse. »Er ist ziemlich verknallt in diese Kara. Es war nicht schwierig, ihn dazu zu bringen, ihr zu vertrauen.«
    »Du hast dich von ihm genährt«, resümierte Raziel. Sie saßen auf dem luxuriösen Ledersofa. Charmeine hatte ihre langen Beine quer über seinen Schoß drapiert.
    »Na klar. Mehrfach, nur um ganz sicherzugehen, dass er es auch wirklich kapiert hat.« Sie unterdrückte ein Gähnen. Sie trug Raziels schwarzen Seidenmorgenrock, der einen starken Kontrast zu ihren hellen offenen Haaren bildete. »Entschuldige. Ich muss in der Nähe der Zwölf ständig eine Fassade aufrechterhalten – das ist ganz schön anstrengend.«
    »Du hältst ihnen doch aber stand, oder?« Raziels Ton war scharf geworden.
    »Ja doch. Keine Sorge, mir geht’s gut. Es ist alles im grünen Bereich.« Charmeine verdrehte die Augen und versetzte seinem Oberschenkel einen kleinen Stoß. »Tu doch nicht so, als würde dir mein Wohlergehen am Herzen liegen.«
    Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, es abzustreiten. Sie hätte an seiner Stelle genauso empfunden. Er ließ seine Hand ihr Bein hinaufgleiten und streifte durch ihre Gedanken. Er genoss das durchaus erregende Gefühl, dass sich ihm sämtliche Türen öffneten und er ungehindert in alle Winkel ihres Geistes vordringen konnte. Selbstverständlich gewährte er ihr umgekehrt keinen freien Zutritt, obwohl sie das nicht merken würde. Er hatte sich eine ausgefeilte falsche Erinnerung zusammengebastelt, die in allen Einzelheiten zeigte, wie er anonym mit den Engelkillern Kontakt aufgenommen und ihr Vertrauen gewonnen hatte. Dass irgendwer erfuhr, und sei es Charmeine, dass er mit dem Halbengel in Verbindung stand, war nun wirklich das allerletzte, was er wollte. Eine gut gemachte falsche Erinnerung enthielt dieselben lebendigen Sinneseindrücke wie eine echte. Raziel war ziemlich stolz auf die Sorgfalt, die er darauf verwendet hatte. Natürlich hätte Charmeine etwas Ähnliches auf die Beine stellen können, aber er glaubte es nicht. Er konnte ihren Hass auf das Konzil spüren, der so gut wie jeden ihrer Gedanken durchtränkte. So etwas konnte sie unmöglich vortäuschen. Es zu verbergen mochte hingegen gerade so möglich sein, wenn auch nicht einfach. Kein Wunder, dass sie müde war.
    Einen Moment lang glaubte Raziel, einen leisen Widerstand zu spüren. Er warf Charmeine einen scharfen Blick zu. Sie hatte sich mit geschlossenen Augen und entspannter Miene auf dem Sofa zurückgelehnt, während er sie erforschte. Das schwache Gefühl verschwand so schnell, wie es gekommen

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