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Hueter der Erinnerung

Titel: Hueter der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Lowry
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Komitees sicher längst im Altenzentrum sein würden, ehe über die Änderung beschlossen werden würde.
    Eine Regel zu ändern war sehr schwierig. Manchmal, wenn es eine sehr wichtige Regel war – nicht etwa eine, die das Alter für
     das Radfahren betraf   –, wurde sie nach der Beratungs- und Abstimmungsphase auch noch dem Hüter der Erinnerungen vorgelegt. Der Hüter der Erinnerungen
     war der wichtigste Älteste der Gemeinschaft. Soweit er sich erinnerte, hatte Jonas ihn noch niemals gesehen. Jemand in dieser
     wichtigen Position lebte und arbeitete allein. Aber mit Kleinigkeiten wie der Fahrradfrage würde das Komitee den Hüter der
     Erinnerungen niemals belästigen. Sie würden nur jahrelang darüber diskutieren, bis die Bürger schließlich vergessen haben
     würden, dass jemals ein diesbezüglicher Vorschlag eingereicht worden war.
    Sein Vater fuhr fort. »Ich applaudierte begeistert, als meine Schwester Katja ein Neuner wurde, ihr Haarband ablegen durfte
     und ihr Rad bekam«, sagte Vater. »Den Zehnern und Elfern habe ich keine große Beachtung geschenkt. Doch schließlich, am Ende
     des zweiten Tages, der kein Ende zu nehmen schien, war ich an der Reihe. Endlich fand die Zwölfer-Zeremonie statt.«
    Jonas bekam eine Gänsehaut. Er stellte sich vor,wie sein Vater – der bestimmt ein schüchterner, ruhiger Junge gewesen war, denn er war jetzt ein schüchterner, ruhiger Mann
     – bei seiner Gruppe saß und darauf wartete, auf die Bühne gerufen zu werden. Die Zwölfer-Zeremonie war die letzte Zeremonie.
     Und die wichtigste.
    »Ich weiß noch, wie stolz meine Eltern und auch meine Schwester waren. Obwohl sie es kaum erwarten konnte, endlich nach draußen
     zu gehen, um eine Probefahrt auf ihrem neuen Rad zu machen, hörte sie auf herumzuzappeln und saß mucksmäuschenstill auf ihrem
     Stuhl, als ich an die Reihe kam. Doch um ehrlich zu sein, Jonas«, sagte sein Vater, »ich hatte nicht diese Ungewissheit wie
     du. In meinem Fall war es so gut wie sicher, welche zukünftige Aufgabe mir zugeteilt werden würde.«
    Jonas war überrascht. Es gab wirklich keine Möglichkeit, das im Voraus zu wissen. Es war eine geheime Abstimmung unter den
     Führern der Gemeinschaft, dem Komitee der Ältesten, die ihre Verantwortung so ernst nahmen, dass über die Berufsvergabe niemals
     auch nur der kleinste Witz gemacht wurde.
    Auch seine Mutter schien überrascht. »Wie konntest du das wissen?«, fragte sie.
    Vater lächelte geheimnisvoll. »Nun, es war mir klar – und meine Eltern gestanden mir später, dass es auch ihnen klar war   –, auf welchem Gebiet meine Fähigkeiten und Neigungen lagen. Ich habe Säuglingeschon immer über alles gemocht. Während die Freunde in meinem Alter Radrennen veranstalteten, mit Bauklötzen Autos oder Türme
     bauten oder   …«
    »All das, was ich mit meinen Freunden auch mache«, sagte Jonas und seine Mutter nickte zustimmend.
    »Daran habe ich natürlich immer teilgenommen, weil man als Kind alle diese Dinge ausprobieren muss. Und genau wie du, Jonas,
     habe ich in der Schule immer fleißig gelernt. Aber immer wieder habe ich meine Freizeit bei den Säuglingen verbracht. Fast
     alle meine Praktikumsstunden habe ich im Säuglingszentrum zugebracht, was die Ältesten natürlich wussten.«
    Jonas nickte. Im Laufe des vergangenen Jahres war es ihm nicht entgangen, dass er intensiv beobachtet wurde. In der Schule,
     während der Freizeit und bei seinen Praktikumsstunden hatte er bemerkt, dass die Ältesten ihn und die anderen Elfer beobachteten.
     Er hatte gesehen, dass sie sich Notizen machten. Er wusste auch, dass die Ältesten sich mit allen Lehrern besprochen hatten,
     die er und die anderen Elfer im Laufe der letzten Schuljahre gehabt hatten.
    »Deshalb hatte ich damit gerechnet und freute mich, aber ich war kein bisschen überrascht, als mir eröffnet wurde, dass ich
     Säuglingspfleger werden würde«, erklärte Vater.
    »Haben alle applaudiert, obwohl es für niemanden eine Überraschung war?«, wollte Jonas wissen.
    »Oh, natürlich. Sie freuten sich für mich, weil es genau die Aufgabe war, die ich mir gewünscht hatte«, erklärte Vater lächelnd.
    »Gab es damals in jenem Jahr auch Elfer, die enttäuscht waren?«, erkundigte sich Jonas. Im Gegensatz zu seinem Vater hatte
     er nicht die leiseste Ahnung, welche Aufgabe ihm zugeteilt werden würde. Aber er wusste, dass er bei einigen enttäuscht sein
     würde. Obwohl er die Arbeit seines Vaters achtete, entsprach sie nicht

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