Hüter der Flamme 01 - Die Welt des Meisters
sie ihn herausfordern, ja nicht zu widersprechen. »Wenn du und Karl nur ein paar Sekunden später gekommen wärt, wäre ich jetzt tot. Wie Jason.« Er schüttelte sich. »Mein Gott, James, du hättest ihn schreien hören müssen. Ich hätte der nächste sein können. Ich hatte Glück.«
Und du hast Angst, daß du beim nächstenmal kein Glück mehr hast. Ich mache dir aber keinen Vorwurf.
Früher hatte er Walter Slowotski beneidet. Seine Einstellung, sein vollkommenes Vertrauen und seinen Glauben, daß er ganz fest im Zentrum des Universums stünde und daß mit ihm und dem Universum alles zum besten stünde – das schien jetzt gar nicht mehr so beneidenswert. Nicht jetzt. Ein aus Stein gehauenes Selbstbildnis konnte zerbrechen. »Natürlich habe ich nie versagt.« Das war leicht, solange man nicht in eine Situation geriet, der man nicht Herr wurde. Das war prima, bis man sich auf einer Straße dahinschleppen mußte, drei bewaffnete Männer auf den Fersen und dem Bewußtsein, daß Hinfallen den Tod bedeutete.
Aber was macht man, nachdem das Selbstbildnis zerbrochen ist?
Er schlug dem Dieb mit der Hand auf die Schulter. »Ich weiß auch nicht, wie es beim nächsten Mal ausgehen wird. Keine Versprechungen.« Er zuckte mit den Achseln. »Aber ich werde da sein, wenn du mich brauchst.« Er stand auf. »Und jetzt brauche ich dich, und zwar wieder in guter Verfassung. Jetzt wäre es aber besser, wenn wir nach Lundeport marschieren und die Überfahrt buchen würden, damit wir endlich von hier abhauen können. Wenn dich jemand erkennt, könnte das Ärger geben. Überhaupt – Barak hält Reden ans Volk, wenn er kämpfen sollte, Aristobulus ist gegen alles und jeden, Doria kann ihre Zaubersprüche nicht wieder bekommen – und ich warte nur darauf, daß Andrea mir Schwierigkeiten macht. Bis jetzt ist sie die einzige, die das noch nicht getan hat.« Er streckte die Hand aus. »Da brauche ich deine Hilfe.«
Hakim blieb bewegungslos sitzen; dann nickte er. »Ich werde mein Bestes tun. Ich … ich kann nicht versprechen, daß das gut genug ist.« Er nahm die Hand und ließ sich vom Zwerg hochziehen.
»Willkommen in der richtigen Welt.« Ahira merkte, daß er lächelte – beinahe. »Und jetzt raus aus den Sachen und rein in Karls.« Er erhob die Stimme. »An alle – wir ziehen ab.«
Aristobulus stand verschwitzt in seinen Gewändern und bückte sich herunter, um den Rucksack auf das sonnenheiße Holz der Pier abzusetzen. Es war nicht nötig, ihn auf dem Rücken zu haben, während Ahira und Hakim mit Avair Ganness, dem Kapitän von Ganness' Stolz, verhandelten. Es sah so aus, als würden sich die Verhandlungen länger hinziehen, und Aristobulus' Muskeln beschwerten sich bereits über die Anstrengung.
Er rieb sich mit der Faust das Kreuz, schloß die Augen und versuchte das ständige Schwatzen der Händler, die sich über den Getreidepreis stritten, das Schreien der Möwen und den widerlichen Gestank von faulem Fleisch zu vergessen.
Mit geschlossenen Augen konnte er seine Macht erkennen, die ihn einhüllte, eine starke karmesinrote Aura, die ihn wärmte – angenehm, trotz des heißen Tages. Er hob die Hand vor das Gesicht und bewegte die Finger. Es m achte ihm Freude, wie die Röte s eine unsichtbare Hand umgab, sogar als sie sich bewegte.
Natürlich war das Zauberei. Das bedeutete, daß es gut war. Und es hieß auch, daß es Macht bedeutete – etwas, das Lou Riccetti immer gewollt, aber nie kennengelernt hatte.
Neben ihm leuchtete eine weitere Lichtquelle – aber viel schwächer, sehr viel schwächer. Andrea hatte einfach nicht sein Format. War das, weil ihr Spielcharakter aus einer niedrigeren Klasse als seiner kam? Oder war es, weil sie dies hier nicht so ersehnt hatte wie er?
Ach was, es spielte eigentlich keine Rolle. Wichtig war nur, daß ihm Deighton eine Atempause verschafft hatte. Das Leben hatte Lou Riccetti dazu verdammt, ein unbedeutender kleiner Mann zu sein, bestenfalls ein zweitklassiger Bauingenieur in einer Zeit, in der fast nichts Bedeutendes mehr gebaut wurde. Keine großen Hängebrücken, um mächtige Ströme zu überspannen, kaum noch Dämme; die Zukunft amerikanischen Ingenieurwesens lag in der Elektronik – Spielereien mit kleinen Schaltplänen, kein Bauen, kein Ausüben von Magie.
Wenn man aber mit Stahl und Stein keine Magie ausüben konnte, blieb nur übrig, von echter Magie zu träumen. Nur das war übriggeblieben …
Er ging noch einmal seine verbliebenen Zaubersprüche im Kopf durch,
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