Hüter der Flamme 02 - Das Schwert des Befreiers
sah aber nicht nur mehr als ein paar Monate älter aus, auch ihr Lächeln war gezwungen.
Er sah, wie sie die Veränderungen in seinem Gesicht betrachtete und nicht sicher war, ob ihr gefiel, was sie sah.
Es hatte eine Zeit gegeben, als Karl die Welt auf die leichte Schulter genommen hatte, selbst wenn er sie ernst nahm. Eine Zeit, in der er die Dunkelheit wegschieben konnte, sie verbannen konnte, wenn auch nur für eine kurze Zeit. Damals hatte er nicht so tun müssen, als würde sie nicht existieren. Es hatte eine Zeit gegeben, als Karl ein im Grunde sanfter, gütiger Mann gewesen war, der manchmal gezwungen wurde, gewalttätige Dinge zu tun; aber tief im Innern war er von der Gewalt unberührt geblieben.
Diese Zeit war vorbei. Für immer. Zwischen ihnen konnte es nie wieder so sein wie früher.
Dieser Gedanke schnitt ihm wie ein Messer in die Seele.
»Andy, ich ...« Er rang nach Worten, nach den richtigen Worten, nach denen, die zwischen ihnen wieder alles ins Lot bringen würden.
Er konnte sie nicht finden. Vielleicht gab es solche Worte auch gar nicht.
»Nein!« schrie sie auf, warf den Korb weg und lief zu ihm.
Als er sie in die Arme schloß und sein Gesicht in ihrem Haar vergrub, wußte er, daß er sowohl recht als auch unrecht gehabt hatte. Ja, es hatte Veränderungen gegeben. Nein, es würde nie wieder wie früher sein.
Aber es konnte besser werden.
Nach einer Weile nahm er den Ärmel ihres Gewandes und wischte zuerst die eigenen, dann ihre Augen aus.
Ihre Augen waren rot und standen immer noch voll Tränen, als sie zu ihm aufschaute. »Karl?«
»Ja.« Er fuhr ihr mit den Fingern durchs Haar.
»Wenn«, sagte sie und preßte das Gesicht gegen seine Brust, »wenn du mich jemals wieder so anschaust, schlage ich dir ins Gesicht, das schwöre ich. Weißt du nicht, daß ...«
»Scht.«
*Blöde Menschen.* Ellegon steckte seinen dicken, großen Kopf durch die Tür. Er schnaubte und wirbelte im Kamin die Asche auf, daß sie überall im Raum herumflog.
Karl hob den Kopf. Was willst du denn schon wieder?
*Du mußt immer die Dinge komplizierter machen, als sie es sind, stimmt's?*
»Was willst du damit sagen?«
*Sag ihr, daß du sie liebst, du Idiot.*
Andy-Andy löste sich von ihm und lächelte. »Ja. Sag mir, daß du mich liebst, du Idiot.« Sie ergriff seine Hand. »Aber später. Jetzt habe ich jemand für dich, den du kennenlernen solltest.«
Sie zog ihn durch den Perlenvorhang ins Schlafzimmer.
Unter dem trüben Fenster stand eine Wiege. Es war eine einfache Holzkiste auf zwei hölzernen Kufen.
Er schaute hinein.
»Weck ihn nicht auf!« flüsterte sie. »Es ist verdammt mühsam, ihn wieder zum Einschlafen zu bringen.«
Das Baby war in graue Baumwollwindeln gewickelt und schlief auf den weichen Decken friedlich dahin. Karl streckte eine Hand aus und berührte vorsichtig die weiche Wange des Kindes. Im Schlaf drehte es sich herum und begann, an Karls Finger zu lutschen.
Karl zog die Hand zurück. »Er ist so ... so winzig.«
»Das findest du!« protestierte Andrea. »Er ist mir keineswegs so vorgekommen, als ich die Wehen hatte. Er wird außerdem wachsen.«
»Wie alt ist er?«
»Nicht ganz zwei Monate.« Andy-Andy legte den Arm um Karls Mitte. »Ich habe ihn Jason genannt, nach Jason Parker. Ich hoffe, du bist damit einverstanden. Wir hatten keinen Namen ausgesucht, ehe du weg bist; deshalb ...«
»Es ist ein feiner Name.«
»Dann habe ich meine Sache gut gemacht?«
»Andy, er ist wunderschön.«
*Er kommt schließlich auf seine Mutter. Glücklicherweise.*
Kapitel achtzehn
Die flackernde Kerze
... die Tapfersten sind mit Sicherheit diejenigen, die ganz klar sehen, was ihnen bevorsteht: Ruhm und ebenso Gefahr, und die trotzdem hinausgehen und sich stellen.
Thukydides
Walter Slowotski ging still um das große Freudenfeuer herum, das man zur Feier ihrer Heimkehr angezündet hatte, und tippte ihn auf die Schulter. »Karl, kommst du ein Stück mit?« fragte er mit nuschelnder Stimme. Er nahm einem aus der fröhlichen Runde die Flasche weg, wobei er sich entschuldigend übertrieben tief verbeugte.
Andy-Andy beugte sich herüber und flüsterte Karl ins Ohr. »Er ist wieder betrunken.«
»Habe ich bemerkt. Kommt das oft vor?«
»Ja.« Sie nickte. »Seit man bei Kirah etwas sieht. Ich glaube aber nicht, daß es nur die Nervosität des werdenden Vaters ist. Vielleicht solltest du ihn fragen, was los ist. Ich habe es nicht geschafft, daß er mit mir darüber redet. Mit Kirah auch nicht.«
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