Hüter der Flamme 04 - Der Erbe der Macht
beiden Packpferden ab und gab sich Mühe, nicht den Anschluß zu verlieren.
»Eine Bewegung, links von uns«, meldete Durine. Dieser Klotz von einem Mann hielt beim Reiten die Zügel anmutig in der klobigen linken Faust, während er in der rechten Pranke die Schrotflinte balancierte, deren Gewicht er gar nicht zu bemerken schien.
»Nur ein Karnickel«, beruhigte ihn Pirojil. »Ta havath, ja?«
Die Zirrische See glänzte im Sternenschein, kleine Wellen rollten gegen das Ufer. Als der Trupp sich Ehvenor ein weiteres Stück Wegs genähert hatte, vermochte Karl nur zwei große Schiffe an der Pier auszumachen, obwohl weiter draußen eine tonnenbäuchige Schaluppe auf den Hafen zuzuhalten schien.
Zwischen der Straße und dem Seeufer erhob sich Ehvenor, wartend und rätselhaft.
Ehvenor! Der einzige Außenposten des Feenreichs in Eren. In einiger Entfernung schimmerte das Botschaftsgebäude - scheinbar aus Licht und silbernem Nebel gewoben - in der Nacht, ohne die Dunkelheit ringsum zu erhellen. Es handelte sich um ein beinahe zylindrisches Bauwerk, ungefähr drei oder vier Stockwerke hoch. Beinahe, beinahe - immer wieder beinahe. Man konnte es nur schwer beurteilen, das Gebäude schien sich vor den Augen des Betrachters zu verändern, doch so behutsam und fast unmerklich, daß Karl nie genau zu sagen vermochte, was jetzt anders war als in dem Moment zuvor.
»Soll ich vorausreiten, Herr?« fragte Kethol. Er war kein Walter Slowotski, doch gab er einen recht guten Kundschafter ab.
»Nein. Haltet nur die Augen offen.« Es war besser, sich nicht zu trennen, die Verrückten von Ehvenor schlössen sich manchmal zu Banden zusammen. Und was nützte es, daß ein Krieger fünfzig von den scheußlichen Kreaturen niedermachen konnte, bevor sie ihn zerfetzten? Es kam darauf an, den Verrückten auszuweichen, nicht sie zu töten. »Und verhalten wir uns möglichst ruhig.«
Kethol nickte und wechselte die Zügel von der rechten in die linke Hand, um vorsorglich seinen Säbel mit der geschwärzten Klinge zu ziehen.
Die breite Straße führte an einer Reihe baufälliger Hütten vorbei, aus denen nicht der geringste Lichtschein drang. Der perfekte Ort für einen weiteren Hinterhalt für die nächsten Kopfgeldjäger, die es auf die von der Gilde ausgesetzte Belohnung abgesehen hatten.
Karl fühlte sich wie auf dem Präsentierteller; er nickte Kethol zu, der sofort in einen Seitenweg einbog.
Der Weg wand und schlängelte sich durch die Elendsviertel von Ehvenor. Hin und wieder entdeckten sie schattenhafte Gesichter hinter den Fenstern oder Türspalten, die sogleich verschwanden, wenn Durine das Gewehr in Anschlag brachte oder Kethol das Schwert durch die Luft pfeifen ließ.
Sie hatten beschlossen, unten an der Pier ein behelfsmäßiges Lager aufzuschlagen und den Morgen abzuwarten, um dann nach einem Schiff Ausschau zu halten, das sie nach Melawei brachte. Sie trugen zwanzig gute Goldmünzen aus Pandathaway bei sich und zehn erstklassige Schwerter aus der Hand Neharas. Sowohl das Gold wie auch die Waffen hatten sie untereinander aufgeteilt, statt alles den Packpferden aufzuladen; so verloren sie nicht gleich ihre gesamte Habe, sollten sie von den Tieren getrennt werden.
Es befanden sich auch noch einige Überraschungen in den Satteltaschen. Auf Dieser Seite waren Explosivstoffe nicht sehr weit verbreitet, und die etwa zwanzig Pfund Schießbaumwolle auf dem letzten Packpferd mochten sich als sehr nützlich erweisen.
Nicht daß es einen großen Unterschied machen würde, nicht auf die Dauer gesehen, grübelte Karl und wünschte sich, sein Amulett aus der Satteltasche holen und überstreifen zu können.
Aber er durfte es nicht. Schließlich sollten alle wissen, daß Karl Cullinane ...
Ohne Vorwarnung sprang eine dunkle Gestalt aus den Schatten, stürzte sich auf Kethol und zerrte den Krieger aus dem Sattel, bevor er sein Schwert ins Spiel zu bringen vermochte. Das Geschöpf beugte sich über den Mann und stieß ein zufriedenes, kehliges Grollen aus.
Augenblicklich war Karl mit dem Schwert in der Hand von seinem Pferd gesprungen. Mit dem Gewehr auf den rätselhaften Angreifer zu schießen kam nicht in Frage; er konnte ebensogut Kethol treffen wie das eigentliche Ziel.
Durines Pferd bockte, während der riesenhafte Mann verzweifelt nach einer Möglichkeit suchte, mit seiner Schrotflinte helfend einzugreifen.
Karl war nicht imstande, die genaue Gestalt ihres nächtlichen Angreifers zu erkennen, doch er entdeckte Körperteile, von
Weitere Kostenlose Bücher