Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor
Augenwinkeln erkennen. Wenn man ihn direkt ansah, schien er sich ständig zu verändern oder zu verformen; dabei schien er von einer Form zur anderen zu fließen. Doch das geschah so unmerklich, daß man niemals sagen konnte, was eigentlich geschehen war. Man wußte immer nur, daß ein Unterschied zu dem bestand, was vorher gewesen war. Es war aber niemals möglich zu sagen, worin der Unterschied bestand, und ob die Veränderung schnell oder langsam gekommen war.
Er befand sich noch immer im Zentrum der Stadt, aber jetzt war er von drei ähnlich aussehenden Gebäuden umgeben. Nein, es waren ...
... hundert Gebäude; wie dumm, natürlich war es immer so gewesen ... es waren tausend Gebäude, ausgebreitet über ...
... nein, dicht zusammengepreßt durch ...
... kilometerweite, gekrümmte ...
... nein, gebogene ...
... nein, gerade Straßen.
Ich hätte wegsehen können, aber es ist eine schlechte Angewohnheit, sich von Dingen abzuwenden, die einen beunruhigen. Man muß sich mit ihnen befassen. Deshalb blickte ich hin. Meine Kiefer preßten sich dabei so fest zusammen, daß ich froh war, daß mir kein Zahn zerbrach.
In Ordnung, schön. In den Außenbezirken der Stadt verliefen noch immer Straßen mit Kopfsteinpflaster und Schlammlöchern, dort standen auch noch immer Gebäude aus Stein und Holz. Das Zentrum der Stadt hingegen war eine Masse von großer Helligkeit und unbestimmbarer Größe. Anders, als mein Geist es greifen konnte, ganz gleich, wie sehr ich mich bemühte.
Bis auf diese eine, verdammte Sache gab es nichts, worüber man sich zu erschrecken brauchte, denn ich habe es auch noch nie verstanden, eine Integralrechnung zu lösen. Wenn mich das verschreckte, was ich nicht verstand, warum erschrak ich nicht auch dabei?
Also, warum zitterte ich? Ich wünschte mir, daß es auf dem Plateau kalt wäre, aber das lag daran, daß ich diesen Eindruck von intellektueller Unaufrichtigkeit nicht mochte, die sich gegen andere richtet, die hier Anwesenden eingeschlossen.
In Ordnung. Es jagte mir also einen Schrecken ein. Diese fürchterliche, fette und haarige Sache. Ich hatte schon vorher Angst davor.
Dort, wo die Lichter nicht hinreichten, veränderten sich dunkle Gestalten. Sie verfestigten sich und lösten sich auf, einige verdunsteten in flackernder Helligkeit, andere schlurften hinaus in die Dunkelheit.
Ich drehte mich zu den anderen um.
Mindestens in einer Ecke hatte sich schon einiger Ärger zusammengebraut. Andy hatte sich zu den drei Gestalten in den Roben gesellt, die beim Feuer saßen, doch Tennetty und Jason hatten ihr Gepäck genommen und sich gegenüber den Sklavenhändlern aufgestellt. Noch waren keine Waffen zu sehen, aber vielleicht war das nur noch eine Frage der Zeit. Jason hatte bereits den Halteriemen seiner geborgten Steinschloßpistole gelöst, die er bei sich trug.
So ein dummer Junge. Ich hatte die Halteriemen von allen meinen Steinschloßpistolen gelöst. Ich war bereit, Wolken nens Worten über seine Harmlosigkeit zu glauben - bis alles losging.
Ahira stellte sich vor Jason hin. »Laßt uns nichts beginnen, was wir nicht mehr aufhalten können, Freunde«, sagte er besonders eindringlich zu Jason und Tennetty, aber vielleicht ein bißchen auch zu mir.
In den Ranken unter meinen Füßen bewegte sich etwas, und ich zuckte, ließ die Hand aber auf dem Kolben der Steinschloßpistole liegen.
»Weißt du«, sagte ich, »das erinnert mich an eine Geschichte, die mir einmal zu Ohren gekommen ist. Zwei verfeindete Gruppen standen sich gegenüber und versuchten Frieden zu schließen. Die einzige Schwierigkeit war, daß ein Mitglied einer Gruppe eine Schlange tötete und sein Schwert zog, um ihr den Kopf abzuschlagen. In diesem Moment brach die Schlacht aus. Nicht, weil irgend jemand es so wollte, sondern weil jeder dachte, daß es losgegangen sei.«
Ahira stimmte zu. »Deshalb werden wir es ruhig angehen lassen. Tennetty, du und ich, wir werden uns ganz einfach dort hinten hinsetzen«, sagte er und wies auf eine Stelle, die sich ungefähr auf halbem Wege zwischen dem Feuer und den Zelten befand. »Jason und Walter, ihr schließt euch Andrea an.«
Ich wußte nicht, ob ich mich geschmeichelt fühlen sollte, weil er mir zutraute, Andy zu decken, was auch immer geschehen mochte; oder ob ich entmutigt sein sollte, weil er mir nicht zutraute, nicht zu feuern, wenn es darauf ankam, oder im richtigen Moment zu feuern. Deshalb entschied ich mich, zwischen Geschmeicheltsein und Entmutigung hin- und
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