Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
was?«
»Nun mal langsam«, wehrte Smith ab. Auch den Juden waren Kreuzigungen bekannt, und zwar schon vor der römischen Herrschaft. 87 vor Christus zum Beispiel ließ der jüdische König Alexander Janneus 800 rebellische Pharisäer kreuzigen. Flavius Josephus, der die Kreuzigung von Juden während der Belagerung Jerusalems mit ansehen konnte, nannte dies den schlimmsten Tod von allen.
»Na, dann kann man ja von Glück reden, dass Kaiser Konstantin 325 nach Christus die Kreuzigungen abgeschafft hatte.«
Smith lachte auf. »Na ja. Dafür hat er den Galgen eingeführt.
Lea fasste sich an den Hals. »Auch nicht viel besser!«
»Doch. Viel besser«, korrigierte sie Smith.»Beim Tod durch den Strang stirbst du nämlich blitzschnell – sofern alles glattgeht und auch wirklich das Genick bricht. Bei einer Kreuzigung dauerte der Todeskampf des Betreffenden mehrere Tage. Aber nun zu deiner eigentlichen Frage. Der Verurteilte starb einen qualvollen Erstickungstod. Nachdem die Delinquenten verurteilt worden waren, zwang man sie zunächst das Kreuz zu tragen.«
»Na ja, nicht das ganze Kreuz, wie alle denken«, wandte Lea ein. »Wäre ja auch kaum zu schaffen gewesen, ein großes, massives Holzkreuz.«
»Zumindest die Römer haben es so gemacht, dass der senkrechte Marterpfahl, das sogenannte ›crux‹, schon fest in den Boden der Hinrichtungsstätte gerammt war, wo er immer wieder genutzt werden konnte. Der zum Tode Verurteilte hatte auf der Hinrichtungsprozession nur noch den Querbalken, das ›Patibulum‹, zu tragen.«
Lea nickte. Diese Details waren ihr bekannt. Wenn der Professor einmal Luft geholt hatte, war er kaum zu bremsen. Er spazierte im Raum auf und ab und fühlte sich sichtlich wohl. Dann fuhr er fort. »Bei der Richtstätte angekommen, wurde der Verurteilte am Boden mit ausgestreckten Armen an dieses Patibulum angenagelt oder angebunden. Das Patibulum wurde an der crux hochgezogen und befestigt. Schließlich nahm man die Füße des Gekreuzigten und nagelte oder band sie unten an die crux fest. Eine Fußstütze, wie man es manchmal vermutete, hat es wohl nicht gegeben, wohl aber eine kleine Sitzbank, das ›Sedile‹. Diese kleine Bank hatte die Aufgabe, den hängenden Körper zu stützen, um die Todesqualen zu verlängern. Je nachdem nun, ob der Querbalken am Kopfende des Pfahls angebracht wurde oder etwas weiter unterhalb, unterschied man zwischen einer ›crux commissa‹ in T-Form und einer ›crux immissa‹ in der Form eines Plus Zeichens.
Lea unterbrach den Redeschwall des Gelehrten. »Eigentlich war es doch so, dass es gar keine festen Regeln für den Vollzug der Kreuzesstrafe gab.«
»Das stimmt. Meistens blieb es der Fantasie der Henker überlassen, wie sie die Strafe ausführen wollten. Bei Josephus habe ich mal gelesen, dass die römischen Soldaten die Gefangenen zum Hohn in den verschiedensten Körperlagen annagelten. Auch die Verwendung von Nägeln oder Stricken war nicht einheitlich.« Smith wandte sich den beiden Leichen Nr. 1 und 2 zu. »Die biblischen Berichte belegen, dass Jesus mit Nägeln ans Kreuz geheftet wurde, und wie wir hier sehen, sind diese beiden auf dieselbe Weise angebracht worden. Und ich denke, hier kommen wir zum springenden Punkt: wenn die Legende um die beiden Schächer stimmen sollte, und wir sie hier liegen sehen, dann sind an diesem Tage die beiden Toten und Jesus definitiv durch Annagelung ans Kreuz geschlagen worden.«
Lea wandte sich ab und schritt durch den Raum. Sie musste zunächst das Gehörte verarbeiten. Smith indes war in Gedanken mit einer Begebenheit aus der Bibel beschäftigt. Er sah zu ihr hinüber und erhob seine Stimme. »In den Evangelien wird auch berichtet, dass Jesus, nachdem er auferstanden war, den erstaunten Jüngern zum Beweis seine Hände und seine Füße zeigte. Johannes spricht dabei ausdrücklich von den Nägelmalen an den Händen.«
Lea schaute zu Smith hinüber und blickte auf die Handknochen des ersten Skeletts. Sie versuchte sich vorzustellen, wie eine Kreuzigung genau abgelaufen war. Smith half ihr auf die Sprünge.
»Wie wir hier sehen, wurden die Nägel nicht, wie es landläufig dargestellt wird, durch die Handflächen getrieben. Bei dem Gewicht eines erwachsenen Mannes würden diese sofort durchreißen. Man muss eher davon ausgehen, dass die Nägel in den Hand- und Fußgelenken steckten. Was nun die Füße betrifft, gibt es ebenfalls verschiedene Varianten. Dem Gekreuzigten von Giv‹at ha-Mivtar, von dem ich dir erzählt
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