Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
und wartete mit einem breiten Grinsen auf die Beantwortung seiner Frage. Er reichte ihm die Hand. »Schulz, verzeihen Sie bitte. Ich bin Reporter und Korrespondent. Und ich bin immer interessiert an der Meinung der Leser. Berufskrankheit, fürchte ich.«
Schneider nickte ihm zu. Schulz schaute auf die Seite, auf der der Artikel abgedruckt war. »Ich persönlich finde den Artikel viel zu flach. Schlecht recherchiert und dergleichen. Ich dachte, darüber hätten Sie solange nachgedacht.«
Schneider begann zu verstehen. Mühsam löste er sich aus seiner Verkrampfung.»Ich verstehe nicht viel von schriftstellerischen Leistungen. Ich bin Banker, wissen Sie. Es ist mir gar nicht aufgefallen, dass er schlecht geschrieben ist.«
»Ist schon ein starkes Stück, oder? Ich meine, so mir nichts, dir nichts in ein Museum reinzuspazieren, den Wachmann töten und eine alte Lanze klauen. Und dieses Phantombild. Das könnte irgendwie jeder sein, sogar ich.« Schulz lachte über seinen Scherz und auch Schneider rang sich etwas ab, das wie ein Lachen klingen sollte.
»Geschäftlich in die USA, nehme ich an?«
Schneider nickte kurz. »Genau, geschäftlich. Ich bin Banker.«
»Ja. Haben Sie gesagt.« Schulz zappelte unruhig auf seinem Platz hin und her. »Ich bin einer heißen Sache auf der Spur.«
Schneiders Interesse an den Ausführungen des Mannes ging gegen null. Ihn interessierten nur sein eigenes Wohlergehen und die Erfüllung seiner Pläne. Der nächste Satz ließ ihn dennoch aufhorchen.
»Ich habe einen Termin für ein Interview bei einem genialen Astrophysiker. Haben Sie die Artikel von Professor Petrov über die Möglichkeit von Zeitreisen gelesen? Also, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde diese Dinge hochgradig spannend. ›Die Zeitmaschine‹ von H. G. Wells habe ich vier- oder fünfmal gelesen. Sie auch? Kennen Sie doch, oder?« Schulz holte Luft und machte eine kleine Pause, in die Schneider hineinsprang. »Welche Artikel meinen Sie genau?«
»Na, in der deutschen Ausgabe der ›Science of Physicians‹ zum Beispiel. In der aktuellen ›PM‹ war, glaub ich, auch einer drin, natürlich ein bisschen populärwissenschaftlicher. Angeblich ist das Forscherteam um Professor Petrov vor Kurzem einen gewaltigen Schritt weitergekommen. Stellen Sie sich das mal vor: wir sind möglicherweise die Generation, die das miterlebt. Ist doch spannend, nicht? In die Zukunft reisen und die Sportergebnisse mit zurücknehmen. Eine einzige Wette, und man ist ein gemachter Mann.« Schulz redete ohne Unterlass, und man spürte ihm seine Begeisterung ab.
Schneider sah ihn unamüsiert an. »Dann wird es mit Sicherheit keine Wetten mehr geben. Abgesehen davon kann ich mir nicht vorstellen, dass das funktioniert.«
»Petrov will es mir beweisen. Er hat ein Energieaggregat erfunden, dass mit Antimaterie arbeitet. Die Energie reicht noch nicht aus, um einen Menschen durch die Zeit zu schicken, aber mit einem kleinen Tier, einer Maus oder einer Ratte hat es angeblich schon funktioniert. Ist doch cool, oder?«
Schneider antwortete nicht gleich. Ein diabolischer Plan reifte in seinem Kopf heran, und jeder Schritt musste gut überlegt sein. Er drehte sich zu Schulz um. »Vielleicht hat ja nur bisher niemand den Mut gehabt, sich als Mensch zur Verfügung zu stellen«, erwiderte er und sah an Schulz vorbei in den Himmel.
»Hätte ich auch nicht«, erwiderte Schulz. »Was ist, wenn es schief geht. Ganz schön hohes Risiko.«
»Ist doch im Prinzip ganz einfach, eine Versuchsperson zu finden. Es müsste jemand sein, der nichts mehr zu verlieren hat. Ein Knacki, den die Todesstrafe erwartet, zum Beispiel, oder ein todkranker Mann, der nur noch einen Monat zu Leben hat.«
Schulz nahm Abstand von Schneider und sah ihn entgeistert an. »Na, Sie sind ja schräg drauf. Ein zum Tode verurteilter Verbrecher taugt doch nicht gleich zum Versuchskaninchen. Der nächste Schritt wäre dann wohl, einen Behinderten zu nehmen, was? Und dann dauert es nicht mehr lange, bis wir beim Euthanasieprogramm der Nazis angelangt sind: alles was minderwertig erscheint, landet in der Zeitmaschine. Solange, bis sie funktioniert und für den Zeittourismus freigegeben werden kann.« Schulz schüttelte verächtlich den Kopf. »Sie rauben mir die ganze Vorfreude an meinem Interview.«
Schneider grinste verschlagen. »Wann haben Sie denn Ihren Termin bei diesem Petrov?«
»Übermorgen gegen elf.«
»Na, dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg.«
»Hm, danke. Ihnen
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