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Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Titel: Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg S. Gustmann
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verrieten, wie ernst er diese Frage meinte. Seine Frau zuckte zusammen und nahm ihre Hand von seinem Kopf.
    »Du solltest so nicht reden, Longinus. Die Götter waren dir stets wohl gesonnen, vergiss das nicht! Schau dich um. Du hast es weit gebracht. Du bist Hauptmann und vereinst viele Soldaten unter deinem Kommando. Wie kannst du da bezweifeln, das du in der Gunst der Götter stehst?«
    »Es ist wahr, dieser Mann soll sterben, weil er sich selbst als Gott bezeichnet hat. Mag sein, dass er dafür den Tod verdient hat. Nur: was ist, wenn er Recht hat?«
    Longinus legte die Lanze behutsam zur Seite und gab sich wieder seinen Gedanken hin. Der erste Hahnenschrei kündigte den Beginn des Tages an, und die Schwermut fraß sich tiefer in Longinus Herz.
    Nach mühevollem Straucheln und seiner Ankunft in einer ihm fremden Umgebung bemerkte der Reisende, wie entkräftet er war. Er streunte durch die erwachende Stadt, in der ihm zunehmend Menschen begegneten. Manche schauten ihn an, nicht in dem Bewusstsein, es mit einem hohen Herrn zu tun zu haben, sondern eher mit Verwunderung. Erleichtert stellte er fest, dass die meisten von denen, die ihn betrachteten, genau das gleiche hässliche, landestypische Gewand trugen. Er war sich sicher, sein Diebstahl würde nicht auffallen. Ich muss nur ein oder zwei Tage hier durchhalten und mir schnellstmöglich die Lanze beschaffen. Dann bin ich wieder verschwunden!
    Stutzig wurden die Leute lediglich aufgrund der Tatsache, dass sie in ein Gesicht schauten, das entgegen ihrer Sitte vollkommen bartlos war. Ansonsten hätten sie ihn für einen Pilger gehalten, der ohne Schuhe und humpelnd auf der Suche nach etwas oder jemandem war. Und Pilger gab es in diesen Tagen zur Genüge in der Stadt.
    Viele Menschen waren eigens hergekommen, um einen Mann zu sehen, den sie als Messias bezeichneten. Andere wiederum hielten diesen Jesus, wie er genannt wurde, für einen Lügner und Gotteslästerer. Es schien, als hätte sich das ganze Volk, über dieser Frage gespalten und zerstritten. Dem fremden Neuankömmling war es egal, wer dieser Mensch wirklich war. Wichtig schien ihm nur, dass der angebliche Messias am nächsten Tag verspottet und getötet werden würde. Er würde ausgelöscht werden und von der Bildfläche verschwinden.
    Der nach Urin stinkende Mann sank sich in einem Hauseingang nieder. Er konnte nicht mehr länger laufen. Seine Füße schmerzten, und der Sportlichste war er ohnehin nie gewesen. Nur ein wenig ruhen, dachte er und ging in Gedanken das bevorstehende Ereignis noch einmal durch. Am Kreuz hängen wird er, dieser Jesus, bluten aus allen ihm zugefügten Wunden. Und am Ende wird ein Hauptmann kommen und ihm seine Lanze in die Seite stechen. Und genau diese Lanze werde ich an mich bringen, jene herrliche Waffe, von der es heißt, sie habe magische Kräfte und verleihe ewiges Leben.
    Der Neuankömmling fühlte sich dem Ziel seiner Träume sehr nahe, nichts auf der Welt würde ihn jetzt noch daran hindern, sie zu verwirklichen. Ob es ihm indes auch gelingen würde, nach Hause zurückzukehren, darüber wollte er noch nicht nachdenken. Im Besitz dieser Lanze würde ihm alles gelingen, davon war er überzeugt. Sorgfältig ging er in Gedanken die Details seines Plans ein weiteres Mal durch: Nachdem der Hauptmann die Lanze in die Seite Jesu gestochen haben würde, würde er den allgemeinen Tumult ausnutzen und dem Hauptmann die Waffe entwenden. Sie hätte dann ohnehin ihre Pflicht erfüllt und wäre für den Hauptmann vermutlich nicht mehr wichtig.
    In den Überlieferungen wurde ja berichtetet, dass dieser Soldat - Longinus - während seiner Tat Jesus als den Messias anerkannte. Longinus würde in seiner in Demut verwandelten Gemütsverfassung die Lanze zu Boden gleiten lassen. Dann würde er sie selbst, wie die selbstverständlichste Sache der Welt, an sich nehmen und so in den Besitz der größten Reliquie kommen, nach der die Menschheit je getrachtet hatte. Still und unauffällig würde er auf den Ölberg zurückkehren und den vereinbarten Zeitpunkt abwarten, an dem er zurückkehren könnte. Er würde die Lanze mit nach Hause bringen, mit dem frischen Blut Jesu an der Spitze.
    Der in Lumpen gehüllte Reisende straffte trotz seiner Hockstellung den Rücken; er fühlte sich erhaben und zu Höherem berufen, als er es je für möglich gehalten hätte. Seine Augen funkelten, und ein leichtes Zittern ergriff seine Glieder. Alle Müdigkeit war von ihm gewichen, und ein zufällig vorbeieilender

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